Fliegt und fliegt und fliegt … 50 Jahre King Air
01.05.2014 Legende gehört zu den Worten, die weitaus häufiger verwendet werden, als dies gerechtfertigt wäre. Wenn aber ein Flugzeug 50 Jahre nach seinem Erstflug in seiner Klasse immer noch das Maß der Dinge ist, dann darf man es mit Fug und Recht als eine solche bezeichnen. Die Beechcraft King Air ist in der Tat legendär. […]
01.05.2014
Legende gehört zu den Worten, die weitaus häufiger verwendet werden, als dies gerechtfertigt wäre. Wenn aber ein Flugzeug 50 Jahre nach seinem Erstflug in seiner Klasse immer noch das Maß der Dinge ist, dann darf man es mit Fug und Recht als eine solche bezeichnen. Die Beechcraft King Air ist in der Tat legendär. Nie hat ein Flugzeug einen Markt über so lange Zeit dominiert, und wohl kein anderes hat in so vielen verschiedenen Einsatzfeldern brilliert: Geschäftsreise, Fracht, Airliner, militärische Aufklärung, Krankentransport. In weiten Bereichen ist die King Air auch heute nicht wegzudenken.
Dabei sah es bis vor kurzem nicht gut aus für ihren traditionsreichen Hersteller. Von Raytheon an Finanzinvestoren verkauft, von diesen mit hohen Schulden belastet, und mit seinen Jetprogrammen Hawker 4000 und Premier 1A voll in die Turbulenzen der Business-Aviation-Krise geraten, musste Hawker Beechcraft 2012 Konkurs anmelden. Nach dem Neustart als Beechcraft Corporation wurde das Unternehmen kurz vor Jahresende 2013 von der Cessna-Mutter Textron übernommen, die damit zum dominierenden Unternehmen in der propellergetriebenen General Aviation wird.
ZWEI LEGENDEN
Die Geschichte der King Air ist untrennbar mit der einer weiteren Legende verbunden: dem PT6-Triebwerk von Pratt&Whitney Canada. 1959 hatte Beechcraft seine Produktpalette mit der Queen Air um ein zweimotoriges Propellerflugzeug für sieben bis neun Passagiere erweitert. Angetrieben wurde es von zwei 250-kW-Lycoming-Motoren. Doch die neue Propellerturbine, die ihren Erstflug 1961 übrigens am Flügel einer Beech 18 absolviert hatte, eröffnete neue Dimensionen.
Im August 1963 kündigte Beechcraft eine Weiterentwicklung der Queen Air mit Propellerturbine an, um so die Lücke zwischen Flugzeugen mit Kolbenmotoren und den ersten Businessjets zu schließen. Schon am 20. Januar 1964 startete die neue King Air zu ihrem Erstflug, und nur vier Monate später erteilte die FAA die Musterzulassung. Die 404 kW der PT6A-Turbinen sorgten für eine Reisegeschwindigkeit von knapp 420 km/h, und dank einer neuen Druckkabine lag die Dienstgipfelhöhe bei 9000 Metern – Werte, von denen man bei einer Kolben-Twin nur träumen konnte. Obwohl knapp eine halbe Tonne schwerer als die Queen Air, konnte die King Air dank der höheren Motorleistung dieselben Flugplätze benutzen.
Die komfortable Kabine des sogenannten Model 90 hatte standardmäßig vier Sitze und konnte auf Wunsch zusätzlich mit einer Bank für drei weitere Passagiere ausgerüstet werden. Das Flugzeug war auf Allwetterfähigkeit ausgelegt. Enteisungsboots an Flügeln und Leitwerk gehörten zur Standardausrüstung, ebenso ein Autopilot. Hinzu kam der unvergleichlich höhere Komfort, vor allem durch die vibrationsfrei laufenden Turbinen. „Die King Air ist der Rolls-Royce der propellergetriebenen Business-Flotte“, schwärmte der Redakteur der britischen Flight International 1964, nachdem er das Flugzeug zum ersten Mal geflogen hatte.
Innerhalb von nur eineinhalb Jahren verließen mehr als 100 Flugzeuge die Werkshallen in Wichita. Nicht nur die besseren Flugleistungen ließen viele Piloten von Flugzeugen mit Kolbentriebwerk auf Turbinen umsteigen; verglichen mit jenen war das PT6 problemlos zu handhaben, vom Start weg weitaus zuverlässiger und brauchte weniger Wartung.
50 Jahre nach dem Erstflug der King Air sind die Fertigungshallen in Wichita noch immer gut gefüllt.
Damit ein Flugzeug aber über mehr als fünf Jahrzehnte seinen Bestseller-Status halten kann, muss es immer wieder an die sich ändernden Bedürfnisse und die technischen Möglichkeiten angepasst werden. Schon 1966 folgte die King Air A90 mit weiterentwickelten Triebwerken und einer verbesserten Druckkabine, drei Jahre später dann die gestreckte King Air 100, die dank stärkerer Triebwerke auch schneller war.
Nicht nur optisch, sondern auch leistungsmäßig war die Einführung der Super King Air 200 im Jahr 1972 ein gewaltiger Sprung. Das Flugzeug erhielt das charakteristische T-Leitwerk, eine um 2,70 Meter vergrößerte Spannweite und deutlich stärkere Triebwerke. Der Erfolg dieser Variante verstärkte sich noch durch die Ölkrisen von 1973/74 und 1979. Treibstoff wurde plötzlich zum Kostenfaktor, und die King Air war damit den durstigen Jets jener Zeit in Sachen Wirtschaftlichkeit haushoch überlegen. 1981 produzierte Beechcraft die unglaubliche Zahl von 435 King Air und damit beinahe zwei Flugzeuge pro Arbeitstag.
Die Zahl der verschiedenen zivilen und militärischen Modelle ist kaum überschaubar. Eines unter der militärischen Bezeichnung VC-6A war im Einsatz, um den damaligen US-Präsident Lyndon B. Johnson von der Luftwaffenbasis Bergstrom bei Austin zu seiner Ranch zu bringen. Mit dem Präsidenten an Bord hatte das Flugzeug dann das Rufzeichen „Air Force One“.
HÄSSLICH, ABER ERFOLGREICH
Überaus erfolgreich war die King Air auch als Airliner. Ende der 70er Jahre entwickelte Beechcraft auf Basis der Super King Air einen 19-sitzigen Wettbewerber zum Swearingen Metroliner und der British Aerospace Jetstream. Den ersten beiden Varianten 1900 und 1900C war nur mäßiger Erfolg beschieden, denn sie hatten in einem Punkt dasselbe Problem wie ihre Wettbewerber: ein enge Kabine, in der man sich selbst als normalwüchsiger Passagier nur in stark gebückter Haltung bewegen konnte.
Nachdem sich der Enthusiasmus der Airlines nachhaltig in Grenzen hielt, entschlossen sich die Ingenieure in Wichita zu einer radikalen Umgestaltung. Zwischen die Flügel packten sie einen beinahe kastenförmigen Rumpf mit einer Kabine in Stehhöhe. Kleine Winglets sollten wenigstens einen Teil des größeren Rumpfwiderstandes wettmachen. Allerdings waren unter dem Heck große Ausgleichflächen erforderlich, um dem Flugzeug auch im Langsamflug die nötige Richtungsstabilität zu geben. Optisch ist die Beech 1900D ein klarer Anwärter auf den Titel als hässlichster Airliner der Luftfahrtgeschichte. Dem Erfolg tat das aber keinen Abbruch. 439 Ds wurden zwischen 1990 und 2002 gebaut. Mehr als 300 von ihnen sind auf allen fünf Kontinenten noch im Einsatz.
Die King Air 250 bietet Platz für normalerweise acht, maximal zehn Passagiere.
DREI VERSIONEN IM ANGEBOT
Längst ist die Grenze von 3000 ausgelieferten King Airs überschritten. Mit mehr als 60 Millionen kumulierten Flugstunden übertrifft sie jedes andere Geschäftsreiseflugzeug. Heute besteht die Familie aus drei Mustern. Die C90GTx entspricht in ihrer Größe am ehesten dem Grundmodell. Mit vier Passagieren an Bord kann sie 2208 km weit fliegen. Von Hamburg aus liegen damit Reykjavik, Lissabon oder Athen in Reichweite. Die etwas größere King Air 250 hat Platz für zehn Passagiere, und das Top-Modell 350i sogar für elf, wobei die Reichweite mit vier Passagieren bei knapp 3200 Kilometern liegt, in der Extended-Range-Version sogar bei über 4400 Kilometern. Alle King Airs verfügen über moderne Pro-Line-21-Avionik von Rockwell Collins und können von Schotterpisten starten.
Der moderne Arbeitsplatz der Piloten in der King Air C90GTx, der aktuellen Version des King-Air-Einstiegsmusters.
Dass das letzte Kapitel dieser Erfolgsgeschichte noch längst nicht abzusehen ist, zeigt der Erfolg des vergangenen Jahres. Obwohl es der Business Aviation insgesamt nicht gut geht, konnte Beechcraft 135 Exemplare der verschiedenen Varianten ausliefern. Zugleich ging der größte Auftrag ein, der jemals für ein Propellerflugzeug in der General Aviation unterschrieben worden ist: Die Firma Wheels Up bestellte 105 King Air 350 zu einem Listenpreis von 1,4 Milliarden Dollar (Heinrich Grossbongardt)