Zwischen Air Berlin, Studenten und Familie – Verwalter Lucas Flöther
2017 war das Jahr von Lucas Flöther. Sein Name ist mit dem Fall der Air-Berlin-Pleite verknüpft, auch beim Fahrradbauer Mifa ist er kein Unbekannter. Nebenbei hält der Insolvenzverwalter Vorlesungen – und auch seine Kinder wollen «möglichst viele Slots». Halle/Berlin (dpa) – Egal, ob er gerade mit Air Berlin, Niki, Mifa oder Unister beschäftigt ist – […]
2017 war das Jahr von Lucas Flöther. Sein Name ist mit dem Fall der Air-Berlin-Pleite verknüpft, auch beim Fahrradbauer Mifa ist er kein Unbekannter. Nebenbei hält der Insolvenzverwalter Vorlesungen – und auch seine Kinder wollen «möglichst viele Slots».
Halle/Berlin (dpa) – Egal, ob er gerade mit Air Berlin, Niki, Mifa oder Unister beschäftigt ist – der Montagmorgen ist im Terminkalender von Lucas Flöther fest reserviert. Erst ein Mal ließ er die Vorlesung an der Universität seiner Heimatstadt Halle ausfallen, wie er betont. Ab 8.00 Uhr diskutiert der Sanierungsexperte als Jura-Professor mit seinen Studenten Fragen des Insolvenzrechts. An einem dieser Montage geht es um Anfechtungen. «Was muss der Verwalter tun?», fragt er ohne Mikrofon und die Treppe zwischen den Gängen hoch- und runterlaufend.
Flöther kennt die Antwort nicht nur aus den Büchern. Seit 20 Jahren braucht er sie – auch bei einer ganzen Reihe von spektakulären Fällen. Er wurde quasi das Gesicht des insolventen Leipziger Internet-Konzerns Unister, nachdem der Firmengründer bei einem Flugzeugabsturz gestorben war. Er rettete zwei Mal binnen zwei Jahren den ostdeutschen Fahrradbauer Mifa, suchte für die Fluglinie Niki verschiedene Zukunftsoptionen.
«Seit Mitte August bin ich ehrlich gesagt relativ wenig in Halle», sagt Flöther. Als er zum Sachwalter bei Air Berlin berufen wurde, wurde ein Hotel in der Hauptstadt seine Bleibe. Ein Fall, den die «Wirtschaftswoche» als «eine der spektakulärsten Großinsolvenzen der deutschen Wirtschaftsgeschichte» bezeichnete – und mit dem sich Flöther endgültig einen Namen machte.
Am Montag gab er bekannt, dass bei einer ersten Versteigerung des Airline-Inventars 13 000 Gebote für 1500 Gegenstände eingingen. Den Gesamterlös könne er aus insolvenzrechtlichen Gründen nicht nennen.
Wenn der gebürtige Leipziger einen Fall übernimmt, sucht er offensiv die Öffentlichkeit. In den Medien, in den Betrieben. Regelmäßig schildert er seine Sicht auf den Stand des Verfahrens, so weit es ihm die Vertraulichkeitsregeln der Branche erlauben.
Dabei beweise Flöther auch Feingefühl im Umgang mit den Beschäftigten, heißt es von Gewerkschaftern, die bei der Mifa-Pleite mit ihm zusammenarbeiteten. Flöther und sein Team hätten trotz der Gläubigerinteressen stets auch eine gute Lösung für die Mitarbeiter im Blick und ein offenes Ohr für deren Anliegen gehabt, sagt die IG-Metall-Geschäftsführerin in Halle-Dessau, Almut Kapper-Leibe. «Das kennen wir von anderen Verwaltern auch anders.»
Zumindest am Wochenende versuche er, zu Hause in Halle zu sein, erklärt der 44-Jährige. Doch Fälle wie Air Berlin können ihn auch dann in Telefonkonferenzen zwingen. Seine fünf und zehn Jahre alten Kinder kennten ihn durchaus noch, auch wenn sie sicher gern mehr von ihm hätten, sagt er: «Ich versuche, das hinzukriegen, oder in der Flugzeugsprache ausgedrückt: möglichst viele Slots zu haben.»
Der hagere Mann mit der runden Brille tippt auf sein Tablet und sagt: Das sei sein Schreibtisch – egal, wo er sei. Er starte jeden Tag vor sechs Uhr morgens. «Das ist 365 Tage im Jahr so. Erstens bin ich ein Frühaufsteher, zweitens habe ich immer gut zu tun.» Die Tage, in denen die Zeit für eine Lösung drängt, nennt er die «heiße Phase». Sie beanspruche ihn auch persönlich besonders.
Dabei ist Flöther schon ein alter Hase im Geschäft. Mit 25 Jahren und frisch an der Uni Halle promoviert, übernahm er den Fall einer kleinen Fleischerei in Sachsen-Anhalts Süden. An der Hochschule interessierte er sich für die Sanierung in Eigenverwaltung, wie es sie bereits in anderen Ländern gab. Seit eine Rechtsreform das auch in Deutschland zulässt, ist Flöthers Wissen besonders gefragt. Auch das Management von Air Berlin nutzte die Option Eigenverwaltung.
Bundesweite Aufmerksamkeit zog Flöther schon vorher auf sich. Etwa 2006, als ihm das Verfahren für die Leipziger Wohnungsbaugesellschaft West – und damit einer der größten deutschen Anlegerskandale – übertragen wurde. Heute spricht er für den Gravenbrucher Kreis, den Zusammenschluss führender Insolvenzverwalter.
Im gerade veröffentlichten Ranking der «Wirtschaftswoche» landete Flöther mit Blick auf die Zahl der Verfahren in der Einzelwertung auf Rang 5. Seine Kanzlei Flöther & Wissing rangierte mit 62 Verfahren im vergangenen Jahr auf Platz 22.
Auch nach Air Berlin will Flöther seine Kanzlei, die neben Halle inzwischen elf weitere Niederlassungen hat, nicht vergrößern. Sein Team besteht aus mehr als 100 Leuten, «die alle mitkämpfen und die Kernaufgaben übernehmen». Bei großen Fällen hole er sich externe Berater dazu. Und auch die kleineren Fälle übernehme die Kanzlei – ja, sie lebe sogar davon. «Darauf bin ich auch angewiesen, denn es gibt die Zeit nach Verfahren wie Air Berlin, das ganz normale Geschäft.»
Mit seinen Vorlesungen will er ebenfalls weitermachen. Während seines eigenen Studiums habe sich kaum jemand für Insolvenzrecht interessiert, erinnert er sich. Das sei heute anders. Seit Herbst läuft die Veranstaltung in einem größeren Hörsaal. Wie groß ist der Flöther-Effekt hinter dem gestiegenen Studenten-Interesse? Er winkt ab: «Eher klein, glaube ich.» Aber es sei schon spannend, wenn ein Praktiker mehr als den Stoff aus den Lehrbüchern vermitteln könne.