29.09.2016 Ein Herumdoktern an Symptomen soll es bei Air Berlin nicht mehr geben. Unter dem Druck ihres arabischen Großaktionärs setzt die deutsche Nummer zwei im Luftverkehr tiefe Schnitte an – mit schmerzhaften Folgen. Berlin (dpa) – Air Berlins letzte Hoffnung heißt Gesundschrumpfen. Seit Jahren hängt Deutschlands zweitgrößte Fluggesellschaft am Tropf, doch erst jetzt werden die Ursachen […]

29.09.2016

Ein Herumdoktern an Symptomen soll es bei Air Berlin nicht mehr geben. Unter dem Druck ihres arabischen Großaktionärs setzt die deutsche Nummer zwei im Luftverkehr tiefe Schnitte an – mit schmerzhaften Folgen.

Berlin (dpa) – Air Berlins letzte Hoffnung heißt Gesundschrumpfen. Seit Jahren hängt Deutschlands zweitgrößte Fluggesellschaft am Tropf, doch erst jetzt werden die Ursachen behandelt, wie Vorstandschef Stefan Pichler es umschreibt. Als er am Donnerstag seine Vision skizziert, wirkt er erst erleichtert – und dann immer mehr gereizt.

Kein Wunder: Die Rettung von Air Berlin ist längst nicht in trockenen Tüchern. Nachdem mehrere Sparprogramme nicht geholfen haben, geht es jetzt ans Eingemachte. 1200 Mitarbeiter sollen ihre Jobs verlieren. Und am Ende könnte das Unternehmen sogar seine Wurzeln kappen.

Weil die Gesellschaft seit Jahren vergeblich versuchte, gleichzeitig die Interessen von Geschäftsleuten und Mallorca-Urlaubern, von Reiseveranstaltern und Partner-Fluglinien zu bedienen, steckt sie dauerhaft in den roten Zahlen. Gegen den Platzhirsch Lufthansa und die Billigkonkurrenz durch Ryanair und Easyjet konnte der Gemischtwarenladen Air Berlin nicht bestehen.

«Bisherige Maßnahmen und Restrukturierungen haben nur an der Oberfläche gekratzt», sagt Pichler, der Air Berlin seit anderthalb Jahren führt. «Sie behandelten die Symptome, beseitigten aber nicht die Ursachen.»

Diese Analyse kann man als Watsche verstehen – für Pichlers Vorgänger Joachim Hunold, Hartmut Mehdorn und Wolfgang Prock-Schauer, unter denen Air Berlin immer tiefer in die Verluste flog und immense Schulden anhäufte. Aber auch für die arabische Großaktionärin Etihad, die Air Berlin seit 2012 mit Geldspritzen von über einer Milliarde Euro am Leben hielt – anstatt dem Unternehmen gleich zu einem überlebensfähigen Geschäftsmodell zu verhelfen.

Jetzt soll Air Berlins Kernflotte auf 75 Maschinen schrumpfen – und das Unternehmen zu einer reinen «Premium»-Airline werden. Der Rest muss irgendwie weg. 40 Airbus-Mittelstreckenjets sollen künftig samt Air-Berlin-Besatzungen vor allem in den Farben der Lufthansa-Billigtochter Eurowings starten.

Das schwierige Touristikgeschäft mit 35 Maschinen will Pichler in einer neuen Tochtergesellschaft unterbringen. Die Verwaltung in Düsseldorf – einst Standort des übernommenen Ferienfliegers LTU – wird dicht gemacht. Auf dem Papier ist sie damit schon fertig: die neue, schlanke Air Berlin, die im laufenden Geschäft ab 2018 endlich schwarze Zahlen schreiben soll.

Doch noch hängt einiges in der Luft. Der Deal mit der Lufthansa ist nicht fertig ausgehandelt. Wie viel Europas größte Fluggesellschaft für die gemieteten Jets samt Personal und Wartung bezahlt, werde noch genau besprochen, ließ Eurowings-Chef Karl Ulrich Garnadt wissen. Auch die Kartellbehörden könnten noch dazwischenfunken.

Und dann ist da eben noch die größte Baustelle: die Touristik. Die kämpft damit, dass im Sommer Millionen Menschen zu den Badezielen am Mittelmeer wollen, die nötigen Flugzeuge im Winter oft aber ungenutzt herumstehen. Man prüfe «strategische Optionen», meint Pichler dazu.

Längst ist durchgesickert, dass Air Berlin die Sparte in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Reisekonzern Tui einbringen oder gleich komplett abgeben will. «Dazu beantworte ich heute keine Fragen», stellt Pichler mehrfach klar. Es klingt genervt. Wie Air Berlin über den Winter kommen soll? Ob Etihad frisches Geld gibt? Dazu will er lieber nichts sagen. «Es geht heute um Strategie.»

Etihad unterstützt Pichlers Pläne nicht nur im Hintergrund. Insidern zufolge führt die Fluggesellschaft aus dem Emirat Abu Dhabi sogar die Verhandlungen mit Lufthansa und Tui – obwohl sie an Air Berlin nur knapp 30 Prozent der Anteile hält.

Sorgen machen sich nun die Regionalflughäfen. In Paderborn, Nürnberg und Leipzig will Air Berlin für das neue Kerngeschäft keine Maschinen und Crews mehr fest stationieren. Gleiches gilt für Köln, Hamburg und Frankfurt. Ob der eine oder andere Flieger der neuen Touristik-Sparte bleibt, ist offen. Die Pläne dazu sind noch nicht fertig.

Selbst Berlin – neben Düsseldorf ein Drehkreuz – ist in Unruhe. Der Regierende Bürgermeister und Flughafen-Aufsichtsratschef Michael Müller (SPD) sieht im Schrumpfkurs eine bittere Nachricht. Dabei könnte die Hauptstadt profitieren: Im nächsten Sommer soll es 41 Langstrecken-Verbindungen geben, 13 mehr als im vergangenen Jahr.

Irgendwo im dichten Flugplan des überlasteten Altflughafens Tegel müssen sich die Slots dafür gefunden haben – aber auf Dauer sind Air Berlins Plänen dort Grenzen gesetzt. «Wir würden uns natürlich wünschen, der Flughafen würde relativ bald eröffnen», sagt Pichler angesichts schwindender Hoffnungen auf einen Start des neuen Hauptstadtflughafens 2017.

Es ist 38 Jahre her, dass der erste Air-Berlin-Flieger abhob. Von Berlin nach Mallorca. Später machte der Mittelmeer-Shuttle die Airline groß. Sommer, Sonne und die Balearen gehörten lange zu ihrer DNA – nun gilt die Touristik nicht mehr als Kerngeschäft. Kann es sein, dass eines Tages kein Air-Berlin-Flieger mehr nach Mallorca geht? Pichler lässt es offen.

Steffen Weyer, dpa-AFX, und Burkhard Fraune, dpa