Dominikanische Republik: Der bunte Hund von Cabarete
Cabarete hat sich vom Fischerdorf zur dominikanischen Surf-Hochburg gemausert. Der Deutsche Marcus Böhm hat den Aufstieg und Wandel begleitet. Das meiste ist besser geworden – aber nicht alles. Cabarete (dpa/tmn) – Als Marcus Böhm in Cabarete ankam, surfte er 60 Tage durch. Bis ihn die Blasen an den Händen zu einer Pause zwangen. Es war […]
Cabarete (dpa/tmn) – Als Marcus Böhm in Cabarete ankam, surfte er 60 Tage durch. Bis ihn die Blasen an den Händen zu einer Pause zwangen. Es war der Sommer 1990. «Windsurfen war damals der coolste Sport der Welt», erzählt Böhm. «Und ich war mit 20 der Jüngste hier.»
Heute ist Böhm, aufgewachsen in Neu-Ulm, 50 Jahre alt und lebt hier an der Nordküste der Dominikanischen Republik noch immer den karibischen Surfertraum. Blonde Locken unter einer Trucker-Kappe, das Gesicht gut gegerbt, die Augen blau wie das Meer.
«Du kannst hier morgens wellenreiten, zu Mittag essen und danach windsurfen oder kiten», sagt Böhm. Erst dann blasen die Passatwinde, aber das zuverlässig und im perfekten rechten Winkel zum Strand. Dazu ein Riff, das vor Wellen schützt: ideale Bedingungen für den weltweit wohl einzigartigen Vierkampf, den Böhm hier gestartet hat.
Beim Master of The Ocean treten die Teilnehmer im Wellenreiten, Standup-Paddling, Wind- und Kitesurfen gegeneinander an. Wer den Titel erringen will, muss alle vier Sportarten meistern. «Pro Sport gibt es 200 bis 300 Leute in Cabarete», sagt Böhm. Die Szenen mischten sich kaum. Der Wettbewerb soll die Wassersportler der vier Disziplinen zusammenbringen. «Und die großen Egos eindampfen.»
Vom Aussteiger-Paradies zur Touri-Hochburg
Nebenbei soll das Event Cabaretes Reputation in der Surfwelt polieren und Gäste anlocken. Denn die Zeiten des romantischen Fischerdorfs sind vorbei, Cabarete ist längst ein voll entwickelter Urlaubsort.
Wer heute die kilometerweite Bucht entlang spaziert, passiert eine Surfschule nach der anderen. In der Mitte des Strandes wuchert ein wilder Mix aus Restaurants und Bars, mehrstöckige Hotels haben sich die Premiumlagen hinter den elegant geneigten Palmen gesichert.
«Jeder Wassersport ließ das Dorf um ein paar Kilometer wachsen», sagt Böhm, als er im Geländewagen über die Küstenstraße fährt, vorbei an Sushi- und Taco-Restaurants – und an einer deutschen Bäckerei. Er biegt in eine Seitenstraße und will ein Holzhaus zwischen all den Betonbauten zeigen. Ein Relikt des alten Cabarete.
In einer anderen Gasse trifft er Domingo King, 58, einen der letzten Fischer, der erzählt, dass er für seine Langusten und Goldmakrelen immer weiter raus fahren und immer tiefer tauchen muss. Und an der Tankstelle bremst er neben einem Weißhaarigen auf einem Motorrad. Es ist Rolf Kientsch. «Auch ein Schwabe», sagt Böhm.
Kientsch kam schon 1979 nach Cabarete. «Wegen der Liebe», wie er sagt. «Die Häuser waren damals aus Palmbrettern», erzählt der 68-Jährige. «Das Wasser schöpfte man aus einem Brunnen, abends zündete man die Kerosinlampe an.» Wenn ein Lastwagen vorbei röhrte, liefen die Kinder begeistert zusammen. Wer ausgehen wollte, nahm ein Taxi nach Sosua. «Und wenn ich Wein für mein Restaurant brauchte, musste ich nach Santo Domingo fahren.»
Die Zeit ärmlicher Idylle endete Anfang der 1990er Jahre. Als Charterflieger Urlauber in die Bettenburgen von Playa Dorada flogen, boomte auch Cabarete. Deutsche, Polen und Russen genossen die karibische Freiheit, die Strandkneipen waren rund um die Uhr offen.
Um ein bisschen Geld zu verdienen, reparierte Böhm damals mit einer Nähmaschine die Segel der Windsurfer. Später verkaufte er gebrauchte Ausrüstung und Bikinis. Nebenbei baute er das Cabarete Kids Team auf.
Der große Traum vom Surfen
Tony Garcia, 40, war einer der sechs Jungen, die Böhm damals unter seine Fittiche nahm. Schon zuvor hatte Garcia die Bretter der Surfschulen gewaschen, nur um am Nachmittag ein bisschen surfen zu dürfen. «Die Erwachsenen-Segel waren schwer für mich als 12-Jährigen», erzählt Garcia. «Aber ich liebte es, mit dem Wind über das Meer zu jagen, zu balancieren.» Von Surfvideos schaute er sich die Tricks der Profis ab, jeden Tag übte er nach der Schule.
In Böhms Kids-Team bekam Garcia neue Ausrüstung von Firmen aus Deutschland und Österreich. «Wir waren mit tollen Bildern in allen Surfmagazinen», erzählt er. «Das zeigte uns, dass wir es schaffen können.» Als Teenager surfte er in Gran Canaria, auf dem Gardasse – und in Hawaii. Im Jahr 2000 gewann der damals 20-Jährige das Aloha Classic, als erster und bis heute einziger Dominikaner.
Reich und berühmt wurde Garcia damit allerdings nicht. «Ich gewann genau zu der Zeit, als Windsurfen aus der Mode kam», sagt er.
Neuer Sport, neues Glück
Ein paar Jahre zuvor waren in Cabarete die ersten Typen aufgetaucht, die sich von Lenkdrachen übers Meer ziehen ließen. Die Windsurfer waren alles andere als begeistert – außer Marcus Böhm. Er kaufte einem der Neulinge seine Ausrüstung ab und legte los.
«Ich hatte keine Ahnung», erzählt er. Die Leinen seien dauernd gerissen, die Drachen hätten sich in den Palmen verfangen. «Das Kitesurfen war damals viel gefährlicher.» Es gab schlimme Unfälle, Surfer wurden hunderte Meter vom Wind auf die Küste geschleudert.
Aber das Kiten birgt auch gewaltige Vorteile: Der Sport ist viel schneller zu lernen als Windsurfen, das Equipment günstiger und leichter, Touristen können es im Flugzeug mitbringen.
«Die Mädchen liebten es, wie wir durch die Luft flogen», erinnert sich Wilson Taveras breit grinsend. Der kräftige Rastamann, 37, war einer der ersten dominikanischen Kiter. Und zwar vor allem, weil er an jenem Strand aufwuchs, an den die Windsurfer die Emporkömmlinge mit ihren Drachen verbannten. «Nach ein paar Wochen konnten wir schon über Wellen springen, jeden Tag entdeckten wir neue Tricks», erzählt Taveras. «Wer ein paar Tage Pause machte, verlor den Anschluss.»
Heute heißt sein Heimatstrand Kite Beach, auch hier reiht sich nun ein Hotel an das andere. Das Kitesurfen hat ganz Cabarete im Sturm erobert. Böhm schätzt, dass heute mehr als 90 Prozent der Surfer kiten. Ein Wandel, der für Cabarete ein Segen war. «Das Kiten hat für alle die Tür zum Ozean geöffnet», sagt Taveras. Zuvor waren die Surflehrer Frankokanadier, Europäer oder Amerikaner. Nun übernahmen die Dominikaner und eröffneten eigene Surfschulen.
Investmentbanker im mobilen Office
Marcus Böhm war da schon wieder weiter gezogen. Zum nächsten Strand, zum nächsten Sport. An der Playa Encuentro, wo das Riff nahe an den Strand heran kommt, eröffnete er ein Camp für Wellenreiter.
Das Meer hier ist rauer, der Strand noch unverbaut, das Flair hip und alternativ. Im Schatten der Seemandelbäume fläzen sich Gäste in Hängematten zwischen Reihen bunter Boards, junge Mütter stöbern über einen Mini-Flohmarkts, im Café laufen jazzige Pophit-Variationen.
Böhm scheint hier jeden zu kennen. Er grüßt Gäste, ruft alten Freunden einen Scherz zu und plaudert mit einem reichen Investmentbanker, der seine Firma lieber von Cabarete als von der Wall Street aus leitet. «Keiner hier trägt eine teure Uhr», sagt Böhm. «Es ist ein egalitärer Spielplatz.»
Doch auch das Refugium Encuentro scheint bedroht. An der Einfahrt zum Parkplatz kündigt ein Plakat den nächsten Block von Ferienwohnungen an. «Der Luxusmarkt floriert», sagt der Immobilienmakler Anton Lvov, 36, in seinem klimatisierten Büro in der Stadtmitte. Es gebe jetzt gute Restaurants, in denen man Champagner bekommt. Mancher seiner Kunden fliegen für ein Wochenende aus New York oder Miami ein. Andere, meist Rentner, bleiben den ganzen Winter.
Zum Surfen komme heute nur noch die Hälfte der Gäste, schätzt Böhm. An diesen windstillen Tagen scheinen es sogar deutlich weniger zu sein. In der Bucht von Cabarete hüpfen schmerbäuchige Lederhäute in den Wellenschaum, Jungs und Mädchen spielen Volleyball, Kinder modellieren mit ihren Eltern eine Schildkröte aus Sand.
Die meisten Gäste aber spazieren einfach die Bucht entlang oder arbeiten auf Liegestühlen an ihrem Nachmittagsschwips. Und träumen vielleicht davon, wie es wäre, dort draußen über das Meer zu gleiten.
Info-Kasten: Cabarete
Reisezeit: Von Februar bis September weht der Wind am beständigsten, im Winter kann man am besten wellenreiten.
Anreise: Von deutschen Flughäfen gibt es in normalen Zeiten Direktflüge nach Puerto Plata. Von dort fahren Busse nach Cabarete.
Übernachtung: In Cabarete gib es die ganze Bandbreite von günstigen Hostels über Ferienwohnungen bis zu gehobenen Hotels.
Wassersport: Die besten Bedingungen zum Windsurfen findet man in der Hauptbucht von Cabarete, wo zahlreiche Surfschulen Kurse und Leihequipment anbieten. Am Kite Beach flitzen die Surfer mit ihren Drachen übers Meer, auch hier gibt es einige Schulen. Und die Wellenreiter treffen sich früh morgens an der Playa Encuentro.
Corona-Lage: Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen in die Dominikanische Republik. Die Grenzen für Ausländer sind aber geöffnet, es gibt derzeit nur sehr wenige Flüge.
Informationen: Dominikanische Republik Tourist Board (Tel.: 069/91 39 78 78, E-Mail: germany@godominicanrepublic.com, www.godominicanrepublic.com/de).
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