737-Max-Debakel: Boeings Krise nimmt kein Ende
Die Misere des US-Flugzeugbauers Boeing dauert an. Die mit Flugverboten belegte 737-Max-Serie belastet weiter die Bilanz. Zudem bringen der Abschlussbericht zum Unglück in Indonesien und heikle Textnachrichten den Airbus-Rivalen unter Druck. Chicago/Washington (dpa) – Brisante Mitarbeiter-Chats, Streit mit der Flugaufsicht, Gewinneinbruch: Boeing versinkt immer tiefer in der Krise um seinen einstigen Bestseller 737 Max. Der […]
Chicago/Washington (dpa) – Brisante Mitarbeiter-Chats, Streit mit der Flugaufsicht, Gewinneinbruch: Boeing versinkt immer tiefer in der Krise um seinen einstigen Bestseller 737 Max. Der Unglücksjet – seit März wegen zwei verheerender Abstürze mit Startverboten belegt – wird immer mehr zum Verhängnis für den bis vor kurzem noch größten Flugzeugbauer der Welt. Auch die Geschäfte leiden immer stärker unter dem 737-Max-Debakel.
Im dritten Quartal brach der Gewinn des Airbus-Rivalen im Jahresvergleich um rund die Hälfte auf knapp 1,2 Milliarden Dollar (rund 1,1 Mrd Euro) ein. Der Umsatz fiel wegen der im Zuge der Flugverbote gestoppten Auslieferung der 737 Max um 21 Prozent auf knapp 20 Milliarden Dollar. Boeing ist indes zuversichtlich, den Krisenjet noch im vierten Quartal wieder in Betrieb nehmen zu können.
Damit zeigt sich der Hersteller optimistischer als die großen US-Airlines mit 737-Max-Fliegern in der Flotte. Tatsächlich gab es zuletzt nur weitere Hiobsbotschaften für Boeing. Kurz vor Veröffentlichung der Quartalszahlen machte der Abschlussbericht zum 737-Max-Absturz in Indonesien den US-Konzern für das Unglück verantwortlich. Am Dienstagabend hatte Boeing bereits den Chef seiner Verkehrsflugzeugsparte, Kevin McAllister, entlassen. Damit musste der erste Top-Manager seinen Hut nehmen.
Im Zentrum der Krise steht das für die 737 Max entwickelte Steuerungsprogramm MCAS, das eine entscheidende Rolle bei den Abstürzen mit insgesamt 346 Toten gespielt haben soll. Boeing hatte bereits nach dem Unglück in Indonesien versprochen, die MCAS-Probleme per Software-Update zu beheben. Wenig später stürzte eine 737 Max in Äthiopien ab. Am Update tüftelt Boeing noch immer.
«Ungeheuerlich» – Boeings technischer Chefpilot Mark Forkner fand bereits im November 2016, Monate vor der Zulassung der 737 Max, klare Worte für das MCAS-Programm. Im Flugsimulator gerate die Automatik geradezu außer Kontrolle, klagte Forkner gegenüber einem Boeing-Kollegen in Textnachrichten, die in US-Medien veröffentlicht wurden. MCAS soll eigentlich in kritischen Situationen den Flugwinkel korrigieren. Doch laut Unfallberichten brachte das Programm die Unglücksmaschinen durch falsche Sensordaten zum Absturz.
Für den US-Konzern sind Forkners Äußerungen hochbrisant: Boeing steht ohnehin schon im Verdacht, der US-Flugaufsicht FAA bei der Zertifizierung der 737 Max wichtige Informationen unterschlagen zu haben. Die Veröffentlichung des Chatverkehrs kommt so zur Unzeit. Zumal Forkner darin sogar einräumt, die FAA angelogen zu haben – wenngleich angeblich unwissentlich, da ihm selbst die Wirkung des MCAS-Programms zunächst nicht klar war.
Die FAA reagierte ausgesprochen ungehalten. Behördenchef Steve Dickson forderte eine «sofortige Erklärung». Besonders erzürnte Dickson, dass Boeing das «beunruhigende Dokument» den Aufsehern angeblich erst mit Monaten Verspätung vorlegte. Das Unternehmen ging zunächst auf Tauchstation, veröffentlichte dann ein dürres Statement, wonach Vorstandschef Dennis Muilenburg den FAA-Chef nun wie gefordert angerufen habe.
Erst am Sonntag legte Boeing mit einer ausführlicheren Stellungnahme nach. Zwar sind die Ausführungen recht verklausuliert – doch das Unternehmen zitiert Aussagen von Forkners Anwalt, die sich so deuten lassen könnten, dass der Flugsimulator technische Probleme hatte. Boeing bedauere die Textnachrichten und sei selbst noch dabei, ihre genaue Bedeutung zu erforschen.
Da war der Schaden allerdings schon längst angerichtet. Boeings Aktien fielen am Freitag um fast sieben Prozent. Am Montag ging es um weitere fast vier Prozent abwärts, nachdem Analysten pessimistische Einschätzungen abgaben und einen Verfall des Börsenwerts um mehr als 50 Milliarden Dollar in Aussicht stellten. Damit ist die 737-Max-Krise nun auch an der Börse angekommen, wo Boeing bislang noch erstaunlich resistent wirkte.
Dass die Nachrichten von Pilot Forkner den Konzern so arg in die Bredouille bringen, hat auch noch einen weiteren Grund. Boeing gab in der Reaktion auf die Kritik von FAA-Chef Dickson an, den Chatverlauf tatsächlich schon früher in diesem Jahr vorgelegt zu haben, allerdings «Regierungsermittlern». Nähere Angaben, um wen es sich dabei handelt, wollte Boeing nicht machen.
Da auch die US-Justizbehörden ermitteln sollen, ob bei der Zulassung der Unglücksflieger alles mit rechten Dingen zuging, dürfte das brisante Dokument zuerst dort gelandet sein. Kein Wunder, dass der FAA das nicht passt: Die Behörde steht selbst massiv in der Kritik, sie soll wesentliche Teile der Zertifizierung Boeing selbst überlassen haben. Sollte Boeing sich nun auch noch mit der Aufsicht überwerfen, würde dies nichts Gutes verheißen und könnte die erhoffte 737-Max-Wiederzulassung womöglich noch weiter ausbremsen.
In jedem Fall sind die Vorwürfe der FAA für Boeing sehr heikel. Der Konzern ist wegen der Abstürze mit einer Klagewelle konfrontiert. Sollten bei der Zertifizierung der 737 Max falsche Angaben gemacht worden sein, könnte dies schwere Konsequenzen nach sich ziehen. Zudem kosten die Flugverbote viel Geld, und jede weitere Verzögerung verschlimmert die Lage.
dpa hbr xx a3 hgo