Wisente, weite Wälder und Industriegeschichte am Rothaarkamm Von Bernd F. Meier, dpa
Schüler legen einen Wanderweg an. Eine fürstliche Familie lebt seit Jahrhunderten in einem herrschaftlichen Schloss. Und mächtige Tiere sorgen für mächtig Streit. In Bad Berleburg im Rothaargebirge warten viele Geschichten darauf, entdeckt zu werden. Bad Berleburg (dpa/tmn) – «Herr Grebe, Herr Grebe, schauen Sie mal schnell. Wir haben Rinnen in den Felsen entdeckt!» Aufgeregt weisen […]
Schüler legen einen Wanderweg an. Eine fürstliche Familie lebt seit Jahrhunderten in einem herrschaftlichen Schloss. Und mächtige Tiere sorgen für mächtig Streit. In Bad Berleburg im Rothaargebirge warten viele Geschichten darauf, entdeckt zu werden.
Bad Berleburg (dpa/tmn) – «Herr Grebe, Herr Grebe, schauen Sie mal schnell. Wir haben Rinnen in den Felsen entdeckt!» Aufgeregt weisen die Schüler ihren Lehrer Rüdiger Grebe während des Wandertages auf zwei Rinnen am Berghang hin. «Die Schüler hatten im dichten Gestrüpp die Überreste einer mittelalterlichen Handelsstraße zwischen Bad Berleburg und Marburg gefunden, wie Archäologen und Heimatkundler später bestätigten», erinnert sich Grebe. Räder schwer beladener Ochsenkarren hatten die Rinnen über viele Jahrzehnte ins Schiefergestein gefräst.
Die zufällige Entdeckung am Berg Fredlar im Südosten Nordrhein-Westfalens sollte der Start sein für ungewöhnliche Unterrichtsstunden an der Bad Berleburger Hauptschule. Alle zwei Wochen wanderten die Schüler im Wahlpflichtunterricht für jeweils vier Stunden mit Schaufeln, Hacken und Astsägen hinaus in die Wälder. Ihr Ziel: Wir bauen einen Rundwanderweg über Berg und Tal. «In den Wahlpflichtstunden können die Schüler beispielsweise mit Computern arbeiten, Kochen lernen und gärtnern – oder eben einen Wanderweg anlegen», erläutert Rüdiger Grebe.
Über zehn Jahre zog der heute pensionierte Pädagoge mit seinen Schülergruppen in die Natur, bis der Wittgensteiner Schieferpfad im April 2002 offiziell eröffnet werden konnte. Mit 14 Kilometer Länge, 443 Höhenmetern bergauf und 490 bergab sowie einer Gehzeit von fünf Stunden ist der Wanderweg ein anspruchsvoller Rundkurs.
«Wanderer sollten trittsicher und schwindelfrei sein und hohe Wanderstiefel tragen, da einige handtuchschmale Felspassagen alpinen Charakter haben. Rucksackverpflegung ist angebracht, denn am Pfad gibt es keine Gasthäuser», rät Teja Radenbach. Als Schüler half der 32-Jährige beim Bau des Weges mit. «Es war einfach toll: Wir waren in der freien Natur, mussten nicht still im Klassenzimmer sitzen.»
Heute ist Radenbach selbst Hauptschullehrer und führt die Ideen des inzwischen 66-jährigen Rüdiger Grebe weiter: «Wir legen weitere naturnahe Wanderwege an oder schneiden etwa eine Wiese frei, wo wilder Thymian wächst.»
Manchmal geht Heidi Dickel mit kleinen Wandergruppen über den Schieferpfad. Die 53-jährige Landschaftsführerin hat den Weg in ihr Herz geschlossen, die Geschichte der Route begeistere die Wanderer. Der Schieferpfad hat die Fledermaus als Wegezeichen, weil die Tiere in den Höhlen und Schieferstollen entlang der Route hausen.
Heidi Dickels Gäste können am Schieferpfad übernachten – in einem ihrer vier Schäferkarren. «Bei einer Wanderung habe ich mich gefragt: Warum musst Du jetzt aus dem Wald zurück in die Stadt und ins Hotel? Da kam mir die Idee mit den Schäferkarren.»
Dickel parkt die rollenden Nachtquartiere nach Absprache mit Waldbauern und Jagdpächtern auf einsamen Waldlichtungen oder an abgelegenen Wiesenrainen. Näher an der Natur geht nicht mehr, wenn dunkler Fichtenwald die Schlafenden umgibt und ringsum trügerische Stille herrscht, ab und zu unterbrochen durch einen Vogelschrei.
Schieferpfad und Schäferkarren sind zwei Attraktionen in Bad Berleburg. Das herrschaftliche Schloss, das Schieferschaubergwerk Raumland und die Wisent-Wildnis mit dem Wisent-Pfad zählen zu den weiteren Zielen für Feriengäste.
Das Schloss ist Museum und Wohnstätte zugleich: Seit mehr als 750 Jahren lebt die fürstliche Familie zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg hier. Das sei doch hierzulande ziemlich einmalig, sagt Schlossguide Barbara Lenz-Irlenkäuser (54) beim Rundgang durch die Festsäle.
In dem dreiflügeligen Bau mit dem barocken Mittelteil von 1733 sind auch die Büros der Fürstlichen Rentkammer, die rund um Bad Berleburg 13 000 Hektar Wald verwaltet – als wirtschaftliche Grundlage der Familie. Damit betreibt sie den größten privaten Forstbetrieb in Nordrhein-Westfalen und ist einer der führenden Waldbesitzer in Deutschland. Bei besonderen Anlässen wird Bad Berleburg zum Treffpunkt des europäischen Hochadels: Die Fürstenfamilie pflegt ihre engen verwandtschaftlichen Bindungen zum dänischen Königshaus.
«Was glauben Sie hat es mit dieser Couch auf sich?», fragt Lenz-Irlenkäuser die Schlosstouristen. «Hier gaben sich Beatrix, einst die Königin der Niederlande, und der deutsche Adelige Claus von Amsberg ihren ersten Kuss!» Geschichte wurde hier also geschrieben, im kleinen Bad Berleburg mit seinen 21 000 Einwohnern, auf riesiger Fläche verteilt über 23 Ortschaften.
In der Ortschaft Raumland zeigt Hermann Franz im Schieferschaubergwerk, wie das schwarze Gold des Wittgensteiner Landes zwischen 1860 und 1923 abgebaut wurde. Einst arbeitete der 76-Jährige als Kaufmann für eine der Gruben: «In unserer Schaugrube haben bis zu 20 Kumpel den Schiefer gebrochen und zu Dachplatten gespalten.» Ein Knochenjob war das: Zwölf-Stunden-Schichten unter Tage, bei sechs bis sieben Grad und bis zu 90 Prozent Luftfeuchte. Schaubergwerk und Schieferpfad erinnern an diese Industriegeschichte.
Eine andere Geschichte schreiben seit einiger Zeit die Wisente. Acht dieser gewaltigen Tiere wurden 2013 in den Wäldern zwischen Bad Berleburg und Schmallenberg ausgewildert. Die Herde ist inzwischen gewachsen und hat ihr Revier vergrößert, und das gefällt nicht jedem.
Die Zukunft des Projektes ist unklar und beschäftigt die Gerichte. Der Streit zwischen klagenden Waldbauern, deren Bäume von den Tieren angeknabbert werden, und Trägerverein hat schon den Bundesgerichtshof in Karlsruhe beschäftigt. Vor Kurzem haben die Waldbesitzer vor einem regionalen Verwaltungsgericht eine Niederlage kassiert. Die Zukunft der einzigen freilebenden Herde in Deutschland ist aber weiter offen.
Wanderer werden die scheuen Tiere in den weiten Waldungen kaum zu sehen bekommen. Die Chance dazu ist größer in der vor sieben Jahren eröffneten Wisent-Wildnis am Rothaarkamm, wo mehrere Tiere in einem eingezäunten, 20 Hektar großen Areal leben.
Der Wanderweg Wisent-Pfad zwischen Wingeshausen und Schmallenberg-Jagdhaus streift das Gehege der sanften Riesen, den größten Landsäugetieren Europas. Wie der Schieferpfad ist auch dieser 13 Kilometer lange Rundkurs etwas für sportliche Wanderer.
Info-Kasten: Bad Berleburg
Reiseziel: Bad Berleburg liegt im Südosten von Nordrhein-Westfalen und ist mit 275 Quadratkilometern eine der flächengrößten Städte Deutschlands. Der Kneipp-Kurort ist seit 1974 staatliches Heilbad.
Anreise: Mit dem Auto: Autobahn A 45 bis Ausfahrt Siegen, dann über B 62/B 480 bis Bad Berleburg. Mit der Bahn: Von Siegen über Erndtebrück bis Bad Berleburg mit der Rothaar-Bahn (RB 93). Mit dem Flugzeug: Flughafen Köln/Bonn mit Verbindungen zu vielen deutschen Flughäfen. Von dort mit dem Leihwagen bis Bad Berleburg, die 120 Kilometer lange Fahrt dauert rund zwei Stunden.
Unterkünfte: Es gibt Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen, Privatzimmer und Wohnmobilstellplätze. Die Nacht im Hotel kostet im Doppelzimmer 68 bis 130 Euro. Eine Nacht im Schäferkarren kostet ab 198 Euro.
Informationen: Tourist-Information, Marktplatz 1a, 57319 Bad Berleburg (Tel.: 02751/936 33, E-Mail: info@blb-tourismus.de, www.blb-tourismus.de).