Olympische Riviera – das klingt nach mondäner Küste, ist aber eher das Gegenteil. Wer sich darauf einlässt, wird reich belohnt, nicht zuletzt durch die Sehenswürdigkeiten im Hinterland. Immer wieder kommt hier der sagenhafte Olymp in Sicht. Thessaloniki (dpa/tmn) – Steil steigt die Straße nach Paleos Panteleimon an. Die Küste und die Trutzburg Platamon verlieren sich […]

Olympische Riviera – das klingt nach mondäner Küste, ist aber eher das Gegenteil. Wer sich darauf einlässt, wird reich belohnt, nicht zuletzt durch die Sehenswürdigkeiten im Hinterland. Immer wieder kommt hier der sagenhafte Olymp in Sicht.

Thessaloniki (dpa/tmn) – Steil steigt die Straße nach Paleos Panteleimon an. Die Küste und die Trutzburg Platamon verlieren sich in der Ferne. Es riecht würzig, frisch. Steineichen drängen an den Fahrbahnrand, Edelkastanien, Büsche, Gräser, Farne, wilde Apfelbäume. Ein kahler Stamm gleicht einer verdrehten Ballettfigur. Unkraut umwuchert Leitplanken. Der Mittelstreifen scheint seit Ewigkeiten nicht nachgepinselt worden zu sein. In Sicht erhebt sich der Olymp, Griechenlands höchstes Gebirgsmassiv, der Sitz des göttlichen Übervaters Zeus. So will es der Sagenschatz.

Konturen von Bergflanken lappen übereinander, Scherenschnitten gleich. Voraus tauchen stolze, ziegelgedeckte Anwesen auf. Das Bergdorf Paleos Panteleimon klebt an einem Hang. Hier ist Endstation am Parkplatz, der Ort für den Durchgangsverkehr gesperrt. In der Tiefe macht der Küstenverlauf lange Schwünge, besonders schön bei Einbruch der Dämmerung, wenn die Siedlungen am Meer ihre Lichternetze aus Beige und Orange auswerfen.

Paleos Panteleimon ist ein Gesamtkunstwerk aus Gassen, Steinhäusern und Holzbalkonen. Kleine Restaurants und Läden profitieren von der Vorzugslage und romantischen Stimmung, die nicht einmal aufgesetzt wirkt. Da werden Fremde noch freundlich gegrüßt. Das passt ins Bild der Olympischen Riviera, die zu Zentralmakedonien zählt und sich im Südwesten von Thessaloniki am Thermaischen Golf entlangzieht, knapp 80 Kilometer von Nord nach Süd, jeweils begrenzt von Feuchtbiotopen.

Als Marke im Tourismusgeschäft gewinnt die Olympische Riviera erst seit jüngerer Vergangenheit an Gewicht, erklärt Evgenia Lemonopoulou. Die Endfünfzigerin führt hinter dem Strand Litochoro ein Boutique-Hotel. Fünf Sterne hat das Haus, eine absolute Ausnahme in den Küstengegenden. Mehrheitlich gibt es familiengeführte Quartiere, Studios, Apartments, Ein- und Zwei-Sterne-Häuser. Für 35 bis 40 Euro bekommt man in Seenähe ein Doppelzimmer mit Frühstück. Sogar in der Hochsaison. Deckt man sich dienstags auf dem Bauernmarkt im Strandstädtchen Leptokarya günstig mit regionalen Produkten ein, ist das Glück vom Low-Budget-Urlaub perfekt. Alternativ zeichnen sich Tavernen durch erschwingliche Preise aus.

Riviera – schwingt da nicht eigentlich der Klang einer elitären, abgehobenen Destination mit, ein Hauch Snobismus? Nein, nicht hier. Die Landschaft verschandelnde Luxuskästen fehlen ebenso wie die Auswüchse eines trinkfreudigen Spektakeltourismus. Sieht man von den frequentierten Hauptorten Paralia und Olympic Beach ab, geht es allerorten authentisch zu. Sympathisch bescheiden und einfach, was dem Wesen der Griechen entspricht. Ohne Schnörkel. Samt kleinen Schönheitsfehlern, die niemand kaschieren kann oder will.

Die Olympische Riviera setzt sich nicht aus nahtlos aneinandergereihten «Goldstränden» zusammen, wie Prospekte verheißen. In den Sand, der weniger golden denn landläufig gelb schimmert, mischen sich gelegentlich Kies und Steine. Dazwischen sind manche Küstenabschnitte touristisches Niemandsland mit Buschbesatz. Auf verlässliche Beschilderungen darf man nicht bauen, was umso stärker den Entdeckergeist anspornt. Unerwartet endet ein versteckter Pistenzubringer an einem wilden, naturbelassenen Strandstück.

Rein ins wunderbar glasklare Wasser! Der Einstieg ist sanft und gefahrlos, wie überall. Breite Strände, an denen garantiert Plätzchen frei sind, finden sich im Nordteil der Riviera in Korinou und im Süden bei Nei Pori.

«Zwischen der Küste und den höchsten Gipfeln des Olymps liegen nur 20 Kilometer Luftlinie», sagt Berg- und Naturführer Savvas Vasileiadis, 44. Er liebt seine Frau Areti, die Mutter seiner beiden Kinder, doch mindestens ebenso liebt er die Gebirgswelt des Olymp-Nationalparks. Sieht er im Sommerurlaub bei Aretis Familie in Athen zehn Tage lang den Olymp nicht, befällt ihn schon Wehmut.

Dabei zieht es Vasileiadis nicht so sehr in die Gipfelregionen, die an der 3000-Meter-Marke kratzen und Bergsteigern am Ende des Aufstiegs einiges abverlangen, sondern in die Schlucht des Flusses Enipeas. «Das ist für mich das Herzstück des Nationalparks», sagt der Grieche. «Hier spürst du Frieden und Wildnis zugleich und dass die Mythen der alten Griechen bis heute lebendig sind.» Das unterstreicht er derart überzeugend, dass man bei der Wanderung vom historischen Bergkloster Agios Dionysios zum Doppel-Wasserfall des Enipeas meint, hinter irgendeiner Wegbiegung oder Schwarzkiefer einer Muse zu begegnen. Oder am Flussufer bei moosüberzogenen Felsen eine Nymphe zu treffen.

Unterwegs erzählt Vasileiadis von der kleineren Gottheit Enipeas, einer B-Sortierung aus dem Olymp’schen Kosmos, wenn man so will. Enipeas wagte es, gegen Zeus und Poseidon zu kämpfen – und unterlag natürlich. Zur Strafe sah er sich in ein Flüsschen verwandelt, das es nicht ganz bis zum Meer schafft, sondern vorher versickert.

Zurück in der Wirklichkeit, steht im Kloster Agios Dionysios auf einmal Efraim da, ein orthodoxer Mönch mit schlohweißem Bilderbuchbart. In der Anlage, die im Zweiten Weltkrieg durch Nazitruppen zerstört wurde, hält er im Sommer als einzig Aufrechter die Stellung. Efraim schätzt die Einsamkeit, die Askese, den Alltagsrhythmus, bei dem er um vier Uhr morgens mit seinen Gebeten beginnt. Dann sei der Geist noch frisch.

Wird die Jahreszeit kühler, kehrt Efraim zurück ins gleichnamige neue Kloster an den unteren Bergausläufern, wo sich die übrigen zwei Dutzend Ordensbrüder als Multitalente betätigen. Im Klostershop stehen Käse und Kefir aus Eigenproduktion zum Verkauf, Hartwurst, Honig, Olivenöl, getrockneter Bergtee vom Olymp.

Da können die Bewohnerinnen des Frauenklosters Sankt Ephräm der Syrer nicht mithalten. Dafür bewohnt die orthodoxe Gemeinschaft auf einem Hügel bei Kontariotissa eine Traumfestung des Glaubens, die filmkulissenreife Züge trägt und Besuchern offensteht. Sieht man schwarzgekleidete Gestalten durch die Kirche und Gänge huschen, wirkt das fast unheimlich. Weniger weltfremd gibt sich eine Nonne, die im blumenreichen Haupthof vor einem Granatapfelbaum sitzt und die Stille zerreißt – lauthals beim Handytelefonat.

Fährt man durchs Hinterland, sind Olivenbäume die mediterranen Dauerbegleiter. Dazu kommen Kiwi- und Kirschplantagen, Tabak- und Baumwollfelder, Rebgärten. Weingott Dionysos würde Station in der Kellerei Kourtis im 500-Einwohner-Ort Rachi machen, dazu allerdings Google Maps benötigen. Nirgendwo findet sich ein Hinweisschild auf das kleine Heiligtum, das weit und breit die besten Tropfen produziert. Früher war Winzer Apostolos Kourtis, 45, Mitglied in Bands wie Negative Action und für den Bass zuständig. Heute spielt die Musik zwischen Edelstahltanks und Eichenholzfässern. Önologie hat Kourtis nie studiert, sondern sich sein Knowhow durch Instinkt und jahrelanges Learning-by-doing angeeignet. Die Resultate: fantastisch.

Der rote Oniros kann es mit jedem Bordeaux oder Rioja aufnehmen. Fruchtig, elegant, komplex. Pure Sonnenreife in flüssiger Form. Sieben Preise hat er damit bereits gewonnen. Nach Feierabend öffnen er und seine Frau Sofia Kiparissi, 33, gern ein Fläschchen. Apostolos beliefert Restaurants in Athen und Thessaloniki und einzelne Abnehmer sogar in Deutschland, doch die Dörfler kaufen lieber Fünf-Liter-Boxen Landwein bei ihm. Aus Kostengründen. Was zur Frage führt, wie es um Griechenlands ominöse Krise bestellt ist.

«Die Krise wird weiter fortbestehen», sagt Kourtis. Das klingt nicht bitter. Eher fatalistisch. Oder realistisch. Mittendrin mag er als Beispiel dafür stehen, was sich mit Kreativität, Initiative und dem Glauben an sich selbst auf die Beine stellen lässt.

Spannt man den Bogen von der Gegenwart ins Gestern, führt kein Weg am Archäologischen Museum und der Ausgrabungsstätte Dion vorbei. Hier verehrten die Makedonier in der Antike den Göttervater Zeus, hier veranstalteten sie Festspiele. Schautafeln erinnern an den König Alexander den Großen, der vor dem Feldzug gen Persien in Dion eine Riesenfeier mit Bankett, Theater und Tieropfern gab. Geblieben sind magere Tempelreste, doch wer die Fantasie ein wenig beflügelt, kann sich der Magie des geschichtsträchtigen Grunds nicht entziehen – mit dem allgewaltigen Olymp in Sicht. Deutlich besser erhalten als die Heiligtümer für Zeus, Isis und Demeter sind die Stadtmauern, das spätere Römertheater und die Thermen mit ihren Mosaiken.

Plötzlich hängt Minzgeruch in der Luft, der von den Wiesen aufsteigt. Folgt man der Sage, verströmt niemand anders als die in Minze verwandelte Nymphe Minthe ihr Aroma. Jäh ins Heute zurück reißen den Besucher dudelnde Handyklänge von Schülern auf Klassenausflug und ein altersschwacher Traktor auf der Straße zwischen dem Ruinenareal.

Wie steht es um die touristische Zukunft der Olympischen Riviera? Der Zulauf dürfte weiter anhalten, so wie in den letzten Jahren. Laut Statistik des zuständigen Regionalbezirks Pieria reisen mittlerweile mehr als 240 000 Besucher pro Jahr hierher, darunter zwei Drittel aus dem Ausland. Die Steigerungen im zweistelligen Prozentbereich freuen auch Hotelbesitzerin Evgenia Lemonopoulou. Sie erzählt von einer Projektidee – dem Bau einer Seilbahn von der Küste auf den Olymp. Wer unverfälschte Ziele liebt, kommt besser bald.

Info-Kasten: Olympische Riviera

Reisezeit: Die Hauptreisezeit dauert von April/Mai bis Anfang Oktober. Es gibt auch Unterkünfte, die ganzjährig öffnen.

Anreise: Von mehreren deutschen Flughäfen aus gibt es Direktflüge nach Thessaloniki. Ab dem Airport im vorbestellten Leihwagen südwestwärts an die Olympische Riviera, zum Beispiel 120 Kilometer über die Autobahn nach Leptokarya.

Informationen: www.verymacedonia.gr