Nach dem Abi Interrail! Eine nostalgische Idee bekommt neuen Schwung Von Tom Nebe, dpa
Die EU will Tausende Interrail-Tickets an junge Leute verschenken. Nur, wollen die angesichts von Billigfliegern überhaupt noch lange Reisen mit dem Zug machen? Brüssel (dpa) – Heute Schweiz, morgen Italien und dann ab nach Griechenland – nicht mit Flugzeugen, sondern mit Zügen. Generationen junger Leute haben so mit einem Rucksack den Kontinent erkundet. Nach dem […]
Die EU will Tausende Interrail-Tickets an junge Leute verschenken. Nur, wollen die angesichts von Billigfliegern überhaupt noch lange Reisen mit dem Zug machen?
Brüssel (dpa) – Heute Schweiz, morgen Italien und dann ab nach Griechenland – nicht mit Flugzeugen, sondern mit Zügen. Generationen junger Leute haben so mit einem Rucksack den Kontinent erkundet. Nach dem Abi erstmal Interrail! Ein Ticket für mehr als 250 000 Kilometer Bahnstrecken durch ganz Europa, mehrere Wochen Zeit: Wer stundenlange Fahrten auf mitunter unbequemen Sitzen nicht scheut, kann für vergleichsweise wenig Geld viele Länder entdecken.
In Zeiten von Billigfliegern scheint das 1972 ins Leben gerufene Konzept ein bisschen nostalgisch. Doch jetzt bekommt die Idee durch ein Projekt der EU-Kommission neuen Schwung. Die Brüsseler Behörde will dieses Jahr bis zu 30 000 jungen Leuten solch ein Ticket bezahlen. Die Pläne gehen zurück auf einen Vorschlag des Europäischen Parlaments, allen Europäern zum 18. Geburtstag ein Interrail-Ticket zu schenken. Gemacht hatte ihn vor anderthalb Jahren der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber.
Der Politiker sagt: Mit Bahnfahrten lerne man Land und Leute im Gegensatz zu anderen Reisemöglichkeiten «viel intensiver» kennen. «Das Interrail-Ticket bringt Menschen zusammen und hilft, dass Europa zusammen wächst.» Darauf hofft letztlich auch die EU-Kommission.
Dass das Interrail-Ticket die europäische Idee fördern könnte, lassen verschiedene Kommentare im Netz vermuten. Ein Nutzer schrieb auf Twitter: «Mit #Interrail hab ich nach der Schule Europa kennen und lieben gelernt, und viele andere auch.» Kritisch fügte er hinzu: «Ist aber teuer geworden mittlerweile – deshalb gut, dass die EU es allen ermöglicht.»
«Alle» ist freilich nicht ganz richtig: Geplant ist nach Angaben aus EU-Kreisen bislang, dass sich junge Leute auf einem Internetportal bewerben können – wahrscheinlich werden sich deutlich mehr Leute melden, als Tickets bezahlt werden können. Dann wird eine Auswahl getroffen. Wie diese erfolgt, steht demnach noch nicht fest. Aber: Im Sommer sollen die ersten Glücklichen verreisen können.
Ein Interrail-Ticket kostet je nach Gültigkeitsdauer für junge Erwachsene zwischen 200 und 500 Euro. Wollte die EU jedem Bürger, der gerade 18 geworden ist, so ein Ticket kaufen, lägen die Kosten Schätzungen zufolge bei mehr als einer Milliarde Euro. Weber will sich als einer der größten Fürsprecher der Idee aber weiter dafür einsetzen.
Der Fahrgastverband Pro Bahn begrüßt die EU-Pläne grundsätzlich. «Es ist gut, wenn man versucht, junge Menschen zum Bahnfahren zu bringen», sagt Sprecher Karl-Peter Naumann. Allerdings müsste man aus seiner Sicht generell Zugfahren für Heranwachsende attraktiver machen – und zwar mit Ermäßigungen, auch national.
Nur, wer setzt sich heute stundenlang in einen Zug, wenn er für 20 Euro viel schneller von Berlin nach Barcelona oder für 35 Euro von Hamburg nach Stockholm fliegen kann? Vielleicht sind es Menschen, die nach Entschleunigung suchen, die durch das Fenster des Zuges die vorbeiziehende Landschaft beobachten wollen – oder die auf der Suche nach Abenteuern sind.
Die Nachfrage scheint jedenfalls vorhanden: Nach Angaben der Eurail Group seien 2016 mehr als 250 000 Interrail-Tickets bestellt worden. 2005 habe man dagegen nur rund 100 000 Tickets verkauft.
Dass die Entdeckung Europas per Zug immer noch junge Menschen begeistert, lässt sich auf Instagram beobachten. Eine Suche mit dem Schlagwort Interrail bringt Hundertausende Bilder. Sie zeigen Menschen im italienischen Bologna, an der Berliner Mauer oder mit Rücksäcken bepackt an einem verschneiten Schweizer Bahnhof. Die Nostalgie lebt.