Bei der Lufthansa streikt immer irgendwer. Dieser (falsche) Eindruck setzt sich in den Köpfen fest, weil das Unternehmen auch von vielen externen Tarifauseinandersetzungen in Mitleidenschaft gezogen wird. Zusätzlich heizt die Konkurrenz der Gewerkschaften das Geschehen an. Frankfurt/Main (dpa) – Angesichts des heftigen Warnstreiks bei der Lufthansa hadert der scheidende Personalvorstand Stefan Lauer mit den Geistern, […]

Bei der Lufthansa streikt immer irgendwer. Dieser (falsche) Eindruck setzt sich in den Köpfen fest, weil das Unternehmen auch von vielen externen Tarifauseinandersetzungen in Mitleidenschaft gezogen wird. Zusätzlich heizt die Konkurrenz der Gewerkschaften das Geschehen an.

Frankfurt/Main (dpa) – Angesichts des heftigen Warnstreiks bei der Lufthansa hadert der scheidende Personalvorstand Stefan Lauer mit den Geistern, die er selbst mit gerufen hat. In einem Brief an die Mitarbeiter beschuldigt er die Gewerkschaft Verdi, ihr ginge es im aktuellen Arbeitskampf nicht um Fortschritte bei den laufenden Tarifverhandlungen, sondern vielmehr «um Mitgliederwerbung vor dem Hintergrund heftig konkurrierender Gewerkschaften». Tatsächlich gibt es im Verkehrsbereich so viele tariffähige Gewerkschaften wie sonst nirgends. Die Nachrichtenagentur dpa beantwortet wichtige Fragen.

Warum gibt es bei Lufthansa so viele Gewerkschaften?

Das hat historische Gründe. Lufthansa hat unter Lauers Ägide im Jahr 2001 erstmals einen Tarifvertrag mit der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) abgeschlossen. Es folgte ein Abschluss mit der bereits 1992 gegründeten «Unabhängigen Flugbegleiter Organisation» (UFO), die fortan eine steigende Zahl von Kabinenmitarbeitern vertrat. Beide Berufsgruppen waren vor Verdi bei den beiden Großgewerkschaften ÖTV und DAG eingeordnet, mit deren Interessenvertretung viele nicht einverstanden waren. Verdi vertritt noch vor allem Kräfte aus Technik- und Serviceeinheiten am Boden. Alle drei Gewerkschaften sind in der Lage, den Betrieb bei Europas größter Airline nachhaltig zu stören.

Von welchen Streiks wird Lufthansa zusätzlich getroffen?

Außerhalb der Lufthansa agiert die «Gewerkschaft der Flugsicherung» (GdF), die bei den Fluglotsen der bundeseigenen Deutschen Flugsicherung (DFS) eine starke Machtposition aufgebaut hat. Ihre Warnstreiks und Streiks – zuletzt auf dem Vorfeld des Frankfurter Flughafens – beeinflussen den Flugplan der Lufthansa ebenfalls stark. Neben Arbeitskämpfen an den Flughäfen hat Verdi in diesem Jahr zudem die Tarifauseinandersetzungen des privaten Sicherheitsgewerbes in die Luftfahrt getragen. Die dort eingesetzten Kontrolleure erhalten nach harten Streiks in Hamburg und NRW nun deutlich mehr Geld. Hier rächt sich für die Flughäfen die Billigstrategie: Früher waren die Wachleute und Kontrolleure bei den Betreibern direkt angestellt und fielen in den höheren, von Verdi ausgehandelten Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst.

Geht Verdi im aktuellen Tarifkonflikt besonders hart vor?

Eindeutig ja. Schließlich sind noch zwei weitere Gesprächsrunden vereinbart, und ein erstes Angebot der Lufthansa liegt vor. Verdi hat in seiner Warnstreik-Strategie die Schrauben schon sehr fest angezogen mit zwei Aktionstagen, von denen der aktuelle flächendeckend und über einen ganzen Tag ging. Die Lufthansa spricht von Auswirkungen wie bei einem Vollstreik und einem Schaden von 20 Millionen Euro. Mit rund 2400 an zwei Tagen gestrichenen Flügen liegt die Zahl bereits über den Absagen in dem regulären Streik der UFO-Flugbegleiter aus dem vergangenen Herbst.

Warum setzen die Abschlüsse der anderen Gewerkschaften Verdi unter Druck?

Verdi muss sich intern rechtfertigen, wenn für die eigenen Leute weniger herausspringt als für die Mitglieder der anderen. UFO hat nach einem regulären Streik mit großer Beteiligung im vergangenen Herbst einen Abschluss als Messlatte vorgelegt. Verdi muss zudem verhindern, dass sich weitere streikmächtige Berufsgruppen abspalten und eigene Gewerkschaften gründen. Solche Bestrebungen gibt es bei den Technikern und der Feuerwehr. Zudem wirbt umfassend die «Arbeitnehmergewerkschaft im Luftverkehr» (AGIL) um Mitglieder beim Bodenpersonal. Im nächsten – deutlich schwierigeren – Schritt geht es für die Neulinge dann darum, als tariffähig anerkannt zu werden, wie es VC und UFO gelungen ist. Das Bundesarbeitsgericht hat hohe Ansprüche zur Tariffähigkeit von Gewerkschaften entwickelt.

Ist Verdi in diesem Jahr besonders streikfreudig?

Der Eindruck könnte entstehen, da die Gewerkschaft mit ihren diversen Fachbereichen an vielen öffentlichkeitswirksamen Konflikten beteiligt ist, so zum Beispiel bei der Post, beim Versandhändler Amazon oder eben bei den Sicherheitskräften am Flughafen. Im Öffentlichen Dienst der Länder gab es hingegen einen schnellen, moderaten Abschluss ohne Streiks. Allgemein verlagert sich aber in der deutschen Wirtschaft der Schwerpunkt der Streiks in den Dienstleistungsbereich, haben das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) und die gewerkschaftliche Böckler-Stiftung festgestellt.