Im Interview mit AERO INTERNATIONAL kritisiert der CEO der SunExpress, Max Kownatzki, scharf die deutsche Politik. Er fordert von den Flugzeugherstellern wieder mehr Verlässlichkeit bei den Auslieferungen.

AERO INTERNATIONAL: Wie läuft das Jahr bislang für SunExpress?

MAX KOWNATZKI: Hervorragend! Wir haben bereits bis Ende Oktober insgesamt 12,8 Millionen Passagiere befördert – 200.000 Fluggäste mehr als im gesamten Jahr 2023. Der durchschnittliche Ladefaktor liegt bei 87 Prozent. Unsere Flugzeuge sind sehr gut ausgelastet. Und wir haben eine Stabilisierung des Yields (der Umsatz pro zahlendem Passagier und geflogener Meile, Anm. der Red.) gesehen, obwohl wir die Sitzplatzkapazitäten gegenüber dem Vorjahr um 19 Prozent erhöht hatten. Dennoch trüben einige dunkle Wölkchen das Bild: Wir müssen mit Kostensteigerungen in vielen Bereichen leben.

Ob Flughafen- oder Flugsicherungsgebühren: Die Steigerungsraten liegen zum Teil im zweistelligen Bereich. Und das können wir natürlich nicht in dieser Größenordnung via Ticketpreise bei unseren Kunden durchsetzen. Mit anderen Worten: Finanziell wird für uns die Luft dünner. Doch unsere Positionierung kommt uns zugute. Die Türkei ist ein touristisch nach wie vor stark wachsender Markt mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Und wir müssen uns mit unseren Stückkosten nun wirklich nicht verstecken, da kommen wir durchaus an die branchenweit führenden Low-Cost-Airlines heran.

Sehen Sie die enormen Kostensteigerungen vor allem in Deutschland?

Ich sehe es als westeuropäisches Thema, doch die Kosten in Deutschland steigen tatsächlich überproportional. Allein die Luftverkehrsteuer ist im Mai um 20 Prozent in die Höhe geklettert. Im Bereich der Zulieferer – beispielsweise bei der Wartung oder in der Bodenabfertigung – sehen wir quer durch die Bank ebenfalls doppelstellige Kostensteigerungen.

Wie lautet Ihre Forderung an die deutsche Politik?

Die Luftverkehrsteuer muss weg! Denn Deutschland schießt sich damit selbst in den Fuß. Und auch die Flughafengebühren sind zu hoch. Ob Ryanair oder Eurowings: Wichtige Airlines reagieren bereits mit einer Reduzierung des Angebots im deutschen Markt. So wird das strukturelle Problem des Luftfahrtstandortes nur noch größer.

Wird auch SunExpress in Zukunft eher in anderen Märkten wachsen?

Ich sage es mal so: Wir überlegen uns sehr genau, ob wir unser Wachstum im teuren Deutschland realisieren oder in günstigeren Regionen. Glücklicherweise sind wir breit aufgestellt. Das Geheimnis unseres Erfolges ist die Diversifizierung. Wir haben mehrere Standbeine: den touristischen Verkehr, den ethnischen Verkehr sowie den türkischen Inlandsverkehr. Insgesamt fliegen wir auf 200 Routen zu 68 Zielen in 35 Ländern.

Doch ist Ihr Brot-und-Buttergeschäft nicht nach wie vor der Verkehr zwischen Deutschland und der Türkei?

Ja. Davon wollen wir auch nicht lassen. Doch seit 2022 haben wir unseren Flugplan nach Großbritannien massiv ausgebaut. Dort sind wir mit fünf Flughäfen und einer Kapazität von rund 400.000 Sitzen gestartet. In diesem Jahr haben wir bereits 21 Routen von neun britischen Flughäfen mit einer Kapazität von über 1,3 Millionen Sitzen im Angebot. Und wir wollen weiter wachsen: Im kommenden Jahr werden es 29 Routen von elf Flughäfen sein, die Sitzkapazität werden wir gegenüber diesem Sommer um 22 Prozent erhöhen.

Großbritannien ist damit neben der DACH-Region unser zweiter Kernmarkt. Auch probieren wir immer mal wieder neue Verbindungen aus. Jüngstes Beispiel: Flüge zwischen Izmir und Barcelona beziehungsweise Madrid. Das läuft vielversprechend an. Im Nahen Osten bedienen wir neben Dubai inzwischen auch Kuwait, Maskat im Oman oder Samarkand in Usbekistan. Auch damit stellen wir uns breiter auf. Und es hilft uns bei der Desaisonalisierung des Geschäfts in den Schulterperioden.

Darüber hinaus übernimmt SunExpress inzwischen ja auch für Air Cairo den Vertrieb. Zufriedenstellend?

Das läuft sehr gut. Für die Air Cairo verkaufen wir mittlerweile 124 Flüge die Woche. Gleiches haben wir jetzt auch mit der bulgarischen Electra Airways auf 32 wöchentlichen Flügen ab sieben deutschen Flughäfen nach Burgas und Varna vereinbart. Ab kommendem Mai wird es losgehen. Wie bei Air Cairo werden wir alle kommerziellen Aufgaben von Netzplanung über Scheduling und Slots sowie Verkauf und Marketing bis hin zu Revenue Management übernehmen, während Electra Airways sich auf operative Aspekte konzentriert.

Auch pflegen Sie enge Bande zur South African Airways …

Richtig. Im Winter 2023/24 ist die Kooperation sehr erfolgreich mit zwei Flugzeugen gestartet und wurde deshalb jetzt weiter ausgebaut. Wir stellen SAA in der europäischen Wintersaison 2024/25 vier Boeing 737-800 inklusive Cockpit- und Maintenance-Crew zur Verfügung. Damit erweitern wir die Kapazitäten des Nationalcarriers in Südafrika mit 134 wöchentlichen Flügen auf drei Strecken und unterstützen SAAs Wachstum. Gleichzeitig ist die Verdopplung unserer Leasingflotte für SAA ein wichtiger Schritt, um die Saisonalität unseres Geschäfts auszugleichen. Ein Win-win für beide Airlines also.

SunExpress stellt der South African Airways (SAA) in der europäischen Wintersaison 2024/25 vier Boeing 737-800 inklusive Cockpit- und Maintenance-Crew zur Verfügung. Bild: Dietmar Plath

Leidet SunExpress überhaupt noch unter winterlichen Überkapazitäten?

Früher mussten wir bis zu 30 Prozent unserer Flotte im Winter abstellen. Das machen wir jetzt nicht mehr. Die Sommerreisesaison reicht inzwischen weit über Ende September hinaus. SunExpress kommt beispielsweise im Oktober auf eine Crewauslastung von 97 Prozent. Gleichzeitig startet die Saison auch früher, wir sehen bereits starke Vorausbuchungen für April und Mai 2025. Und unsere Flugzeuge sind pro Tag durchschnittlich mehr als 16 Stunden in der Luft. Partnerschaften wie mit SAA und Leasing-Vereinbarungen wie mit AJet tragen ebenfalls dazu bei, die Saisonalität auszugleichen.

War das 19-prozentige Wachstum im jüngsten Sommer eigentlich dem Plan entsprechend, oder hätte es tatsächlich höher ausfallen sollen?

Nein, das lag sogar über Plan. Laut Plan wachsen wir im Schnitt bei einem Flottenzuwachs von fünf bis sieben Maschinen zwischen acht bis zwölf Prozent pro Jahr. Zuletzt haben wir allerdings überproportional zugelegt. Wir sind 2023 mit 66 Flugzeugen geflogen und haben in diesem Jahr schon 77 Flugzeuge in Betrieb. 2025 werden wir mit 85 Maschinen operieren. 2035 soll unsere Flotte aus 166 Flugzeugen bestehen.

Leiden Sie nicht unter den Lieferengpässen bei Boeing?

Doch, natürlich! In diesem Jahr haben wir vom Hersteller bis Ende Oktober vier Maschinen erhalten. Pünktlich kamen auch die leider nicht. Aber wir haben uns hier äußerst flexibel gezeigt und ausreichend Flugzeuge an den Start gebracht, um das zu fliegen, was wir für unsere Kunden und Partner ins Schaufenster gestellt haben. Auch für 2025 sind die benötigten Flugzeugkapazitäten trotz der Lieferprobleme bei Boeing bereits gesichert. Wie wir das machen? Nun, indem wir beispielsweise auslaufende Leasingverträge frühzeitig verlängert haben. Dennoch ist es für die gesamte Branche essenziell, dass die Flugzeug-Hersteller ihre Liefertermine wieder in den Griff bekommen und alles daransetzen, ihre Qualitätsversprechen zu halten.

Wie ist die Qualität der Flugzeuge, die SunExpress von Boeing bekommt?

Mit der Qualität sind wir sehr zufrieden. Wir haben Fachleute direkt vor Ort, die die Produktion beobachten, und außerdem über unsere Anteilseigner Lufthansa und Turkish Airlines eine gewisse Präsenz in Seattle. Bei noch 132 georderten Flugzeugen muss man die Verantwortung leben, und das tun sowohl wir als auch Boeing. Technisch sind die Boeing 737 MAX 8 top. Das Problem mit der MCAS-Software (Maneuvering Characteristics Augmentation System, Anm. d. Red.) hat Boeing aus unserer Sicht komplett adressiert. In Sachen Effizienz lasse ich auch nichts auf die Flugzeuge kommen, insbesondere beim Treibstoffverbrauch hält das Flugzeug die Versprechen. Und: Die MAX ist leiser, was unsere Passagiere sehr zu schätzen wissen.

Welche Rolle spielt SunExpress im türkischen Markt?

SunExpress ist der führende Carrier zwischen dem DACH-Raum und der Türkischen Riviera und Anatolien. Unser Marktanteil beträgt hier mehr als 50 Prozent. Übrigens fliegt jeder zweite Türkei-Reisende aus Deutschland mit SunExpress. Betrachten wir die Gesamttürkei inklusive Istanbul – immerhin eine 16-Millionen-Einwohner-Metropole, die wir nicht anfliegen –, dann ist SunExpress immer noch bei knapp 40 Prozent.

SunExpress ist mit einem Marktanteil von mehr als 50 Prozent der führende Carrier zwischen dem deutschsprachigen Raum und der Türkischen Riviera und Anatolien. Bild: Dietmar Plath

Ist der europaweit festzustellende Personalmangel auch in der Türkei im Allgemeinen und für SunExpress im Besonderen ein Thema?

Wir sehen die Knappheit auch in der Türkei. Insbesondere in den Bereichen Cockpit, Kabine und Maintenance. Wir beobachten, dass die jüngere Generation zunehmend nach Beschäftigungsmöglichkeiten im Ausland sucht, wodurch sich der Wettbewerb um türkische Talente sowohl in der Türkei als auch in Europa ausgeweitet hat. Verglichen mit dem starken Wettbewerb um Fachkräfte in Istanbul sind wir mit unseren Basen in Antalya, Izmir und Ankara aber etwas weniger davon betroffen.

Allerdings werben wir auch proaktiv um Talente aus anderen Regionen. Wir haben zum Beispiel 2018 ein Trainingsprogramm für Piloten in der Türkei gestartet. Seither haben rund 200 Teilnehmer das Programm erfolgreich abgeschlossen. Zudem haben wir erst kürzlich in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität in Eskişehir ein Trainings- und Beschäftigungsprogramm gestartet, um uns auch im Bereich Maintenance personell zu stärken. SunExpress gilt als attraktiver Arbeitgeber, wir haben 2024 erneut die Auszeichnung „Great Place to Work“ erhalten und sind ein Unternehmen, das in Euro zahlt. Das ist angesichts der hohen Inflation in der Türkei ein Pluspunkt. Für 2025 werden wir 800 Mitarbeiter neu einstellen, darunter 100 First Officer, 70 Kapitäne und ungefähr 400 Flugbegleiter.

Hoffentlich wird uns sobald keine erneute weltweite Pandemie treffen, muss die Türkei keine weitere Erdbebenkatastrophe erleiden. Doch wie resilient ist SunExpress?

Wenn ich irgendwo eine Krise managen muss, dann bitte in der Türkei bei SunExpress. Ich kenne kaum ein Land und ein Unternehmen, in dem dermaßen reaktionsschnell, flexibel und pragmatisch Probleme gelöst werden. Der Markt ist stabil und wird durch nichts so schnell aus der Balance geworfen. Nach dem verheerenden Erdbeben 2023 leistete SunExpress zum Beispiel sofortige Unterstützung mit mehr als 440 Rettungsflügen und dem Transport von mehr als 1000 Tonnen Hilfsgütern.

Unsere Flexibilität hat uns auch in der größten Pandemie der jüngeren Menschheitsgeschichte geholfen. Während der Coronakrise haben wir die Gehaltsstruktur unserer Mitarbeiter von 90 Prozent fixem und zehn Prozent variablem Lohn auf ein 50/50-Verhältnis umstellen können. Einfach, um einen fairen Mechanismus zu haben, der es ermöglicht, die Krise zu überstehen. Gleichzeitig ermöglicht es den Crews nun in den guten Zeiten, mehr zu verdienen, wenn sie mehr fliegen. In Krisenzeiten teilen wir die Lasten, in guten Zeiten die Vorteile. Das macht SunExpress aus, und unsere Mitarbeiter wissen, dass sie sich darauf verlassen können.

Interview: AERO-INTERNATIONAL-Redakteurin Astrid Röben und AERO-INTERNATIONAL-Herausgeber Dietmar Plath