Um eine einheitliche Unternehmenskultur zu fördern und den Einstieg neuer Piloten zu erleichtern, hat die indische Fluglinie Indigo ein Mentorenprogramm für Piloten gestartet. Was macht das Programm aus?

 Die indische Airline Indigo ist nicht nur eine der führenden indischen, sondern auch eine global am schnellsten wachsenden Fluglinien. Aktuell befördert sie ihre Fluggäste auf täglich 2200 Flügen und ist damit, gemessen an dieser Zahl, die siebtgrößte Airline der Welt. 

Auf ihrem nationalen und regionalen Passagierstreckennetz zu mehr als 130 Destinationen setzt Indigo primär eigene Flugzeuge der Typen ATR 72 sowie Airbus A320ceo/neo und A321ceo/neo ein. Dazu noch angemietete Boeing 737 und 777. Drei A321P2F-Umbaufrachter für Cargo-Routen ergänzen die Flotte.

Indigo hat einen enormen Bedarf an Nachwuchspiloten

Seit dem 1. März pendelt zudem eine von der norwegischen Norse Atlantic Airways geleaste Boeing 787 zwischen Delhi und Bangkok, die bis Jahresende um mindestens drei weitere Maschinen dieses Musters für eine weitere Expansion auf Langstrecken ergänzt werden soll. Wie Indigo bekannt gab, sind Manchester in Großbritannien sowie Amsterdam im kommenden Sommer die ersten europäischen Destinationen.

Zudem hat Indigo bei Airbus A321XLR und A350-900 für die Langstrecke fest bestellt, die ab 2027 ausgeliefert werden sollen. Sie sind Teil eines Auftragspakets bei Airbus, das zum Jahresende 2024 ein Volumen von mehr als 900 Flugzeugen der A350– und A320/321neo-Familien umfasste.

Das steckt hinter dem Indigo-Mentorenprogramm

Bereits im September 2020 – und damit ganz am Anfang der anhaltenden Expansionsphase – machte sich das Indigo-Management Gedanken darüber, wie die zahlreichen neuen Pilotinnen und Piloten mit der speziellen Firmenkultur und den operativen Herausforderungen des Pilotenberufs vertraut gemacht werden können.

Die Idee des Flight Operations Department war daher ein Programm zu schaffen, das die Eingliederung meist sehr junger neuer Junior First Officers vereinfacht. Dadurch sollen sie sich in ihrem neuen Arbeitsumfeld von Anbeginn wohler – und in das Unternehmen eingebettet fühlen. . 

Vermittlung einheitlicher Unternehmenswerte

Die Berufseinsteiger absolvieren im Rahmen des Kadettenprogramms ihre ab-initio-Ausbildung und sammeln darauf folgend ihre erste Berufserfahrung als Kopiloten. So entstand die Idee eines Mentoring-Programms für den zahlreichen Pilotennachwuchs.  

Die Flugkapitäninnen Pia Oberoi (links) und Malvika Sharan verbindet auch nach dem Ende des Mentoring-Programms eine innige Freundschaft. Bild: Indigo

Die Flugkapitäne und ihre jungen Kolleginnen und Kollegen nehmen an dem Programm freiwillig teil. Bei der letzten Zählung am 31. Dezember 2024 wurden 1915 Mentees von 425 Mentoren betreut. Aus Sicht des Unternehmens ist der größte Gewinn die Vermittlung einer einheitlichen Unternehmenskultur und gemeinsamer Werte durch die Mentoren.

Was ansonsten auf Grund der Menge neuer Piloten und deren Einteilung auf verschiedene Basen sehr schwer zu erreichen wäre. Wie Indigo mitteilt, gibt es eine überwältigend positive Resonanz von Piloten, die an diesem Programm teilnehmen.

Freiwillige Teilnahme am Mentorenprogramm

AERO INTERNATIONAL hatte Gelegenheit mit zwei Indigo-Pilotinnen zu sprechen, die einst als Mentorin-Mentee-Duo begannen, mittlerweile beide Flugkapitäninnen sind – und heute eine enge Freundschaft verbindet. Sowohl Piya Oberoi als auch Malvika Sharan sind aktuell Flugkapitäninnen der A320/321-Flotte.

Piya Oberoi, die zu jenem Zeitpunkt bereits als Kapitänin im Einsatz stand, bekam Malvika Sharan im September 2022 als eine von drei Mentees zugeteilt. Offiziell besteht das Band zwischen Mentor und Mentee für ein Jahr, „aber das muss damit nicht enden“, betont Piya Oberoi und ergänzt: „Malvika und ich stehen immer noch in engem Kontakt. Wir sind Freunde geworden. Wir treffen uns regelmässig und pflegen eine enge Freundschaft.“

Malvika Sharan ergänzt mit einem Augenzwinkern: „Ich hatte so viel Glück mit Piya und ich werde sie niemals gehen lassen. Unser Kontakt hat sich weit über das Mentoring-Programm hinaus zu einer echten Freundschaft weiter entwickelt. Und die Themen, über die wir sprechen, gehen weit über die Luftfahrt hinaus.“

Aus Mentoring wird Freundschaft

Piya Oberoi hat vor rund zwölf Jahren mit dem Fliegen begonnen. Sie lebt in Delhi, arbeitet seit acht Jahren für Indigo und hat auch ihre fliegerische Basis in der indischen Hauptstadt. Seit jungen Jahren hegte sie den Wunsch Pilotin zu werden. Oberoi: „Das war in dem kleinen Dorf, in dem ich aufwuchs, jedoch ein sehr exotischer Berufswunsch. Und so stand ich im Jahr 2008, als ich mit dem Fliegen begann, vor vielen Herausforderungen. Heute übliche virtuelle Suchmaschinen, ja selbst das Internet als solches waren in dem Dorf damals noch eine Seltenheit. Ich hatte jedoch Glück und fand einen Mentor, der mich unterstützte.“

Mentorinnen und Mentoren der indischen Airline Indigo. Bild: Indigo

Verschiedene Wege ins Cockpit

Aus dieser eigenen, positiven Mentoring-Erfahrung schätzt Piya Oberoi umso mehr das Angebot eines firmeninternen Programms. Die Kapitänin unterstreicht: „Es geht nicht darum, wie man ein Flugzeug fliegt. Die jungen Piloten haben das in ihrer Ausbildung gelernt. Vielmehr sind es die zwischenmenschlichen Aspekte. Beispielsweise, wie man als sehr junger Berufsanfänger seinen persönlichen Karrierepfad findet. Niemand bringt einem dies in der Flugausbildung bei.“ Dennoch hat sich Piya Oberoi durchgesetzt und ist seit fünf Jahren Flugkapitänin – und seit einem Jahr zusätzlich Trainingskapitänin. 

Völlig anders verlief der Weg von Malvika ins Cockpit. Ihr Vater war bereits bei einer anderen indischen Airline als erfahrener Pilotentrainer und Prüfer tätig und konnte sie daher schon früh für die Luftfahrt begeistern. Malvika: „Ich habe Ingenieurwissenschaften studiert, ein Jahr lang gearbeitet und dann beschlossen Pilotin zu werden. Die Luftfahrt war immer ein Traum. Ich habe es jedoch zuerst versucht von neun bis fünf im Büro zu arbeiten – doch hat es mich schnell gelangweilt.“

So erwarb sie ihre Berufspilotenlizenz im Jahr 2016 in Neuseeland, zog im Jahr darauf nach Indien zurück, begann im Jahr 2018 bei Indigo und wurde kurz darauf Erste Offizierin. Den vierten Streifen als Flugkapitänin erhielt sie im Dezember des vergangenen Jahres. 

Eine auslieferungsbereite Indigo A320neo auf dem Vorfeld des Airbus-Werks im französischen Toulouse. Die Airline hat noch fast 1000 Flugzeuge in den Auftragsbüchern von Airbus stehen. Bild: Wolfgang Borgmann

Als Beispiel für Gesprächsthemen im Rahmen des Mentorenprogamms nennen Piya und Malvika neben Luftfahrtthemen auch Aspekte der Work-Life-Balance von Piloten. „Darin bin ich wirklich schlecht“, erklärt Piya Oberoi lachend. Ihre Kollegin ergänzt: „Das Unternehmen fördert eine persönliche Beziehung. So können sich die Nachwuchspiloten vertrauensvoll auch bei individuellen Problemen an uns Mentoren wenden. Da es sich um Erste Offiziere handelt, möchte das Unternehmen, dass wir auch bestimmte Bereiche der Firmenkultur ansprechen und die jungen Kolleginnen und Kollegen damit vertraut machen.“

Mehr als ein reines Job-Mentoring

Auf die Zuteilung der Paarungen haben weder Mentor noch Mentee einen Einfluss. Dieses entscheidet die Airline je nach Basis und Flugzeugtyp. Auch die Zahl der von einem Mentor zu betreuenden Mentees wird von Indigo festgelegt. Die Airline möchte dadurch Diskussionen anregen, die über das Tagesgeschäft und die Alltagsroutine des Flugbetriebs hinausgehen: So soll die Vielfalt im Unternehmen die Diversität Indiens mit seinen zahlreichen Kulturen und Sprachen widerspiegeln.

Vor diesem Hintergrund werden bewusst Paarungen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammengebracht, die selbst an unterschiedlichen Basen stationiert sein können – jedoch zwingend das gleiche Flugzeugmuster fliegen. Schließlich, so die Indigo Flight Operations, wisse man im Flugbetriebsalltag auch nicht, wer neben einem im Cockpit sitzt. Das Programm eröffne daher eine Vielzahl weiterer Perspektiven, wenn die Paarungen entsprechend divers gestaltet sind.  

 

Nach eigenen Angaben beschäftigt Indigo weltweit unter den Airlines den größten Anteil von Frauen im Cockpit. Bild: Indigo

Malvika: „Da Mentor und Mentee berufsbedingt nur wenig Gelegenheit haben sich physisch zu treffen, erfolgt die häufigste Kontaktaufnahme per Telefon oder Whatsapp. Piya und ich leben beide in Delhi. Da ist es leichter sich auch einmal zu sehen. Andre Paarungen sind jedoch auf verschiedene Basen verteilt. Fliegen jedoch immer das identische Flugzeugmuster.“ 

Piya ergänzt: „Wir haben auch die Möglichkeit Flüge zu tauschen um miteinander in persönlichen Kontakt zu treten  – und da es sich um eine Kapitän-Kopiloten-Beziehung handelt, können wir während des Flugs miteinander sprechen.“

Mentorenpaare bestimmen Abläufe

„Die Zeit, die wir mit unseren Mentees verbringen, hängt von der Art der Beziehung ab, die wir zusammen aufbauen. Und wie sehr dich ein Mentee überhaupt braucht. Manchmal reicht schon der Austausch von ein paar Nachrichten aus. Daher ist es sehr schwer eine durchschnittliche Zeit zu nennen, wie oft Mentor und Mentee in Kontakt stehen. Es hängt nicht zuletzt davon ab, ob sich zwischen den beiden eine Sympathie entwickeln kann“, glaubt die einstige Mentee.

Indigo betont, dass es noch nie vorgekommen sei, dass ein Mentor oder ein Mentee darum gebeten hätten die Verbindung aufzulösen. Es sei jedoch völlig akzeptabel, wenn ein Mentor aus persönlichen Gründen zurücktreten muss. In diesem Fall würde Indigo dem Ersten Offizier einen neuen Mentor zuweisen.

Höhepunkt der fliegerischen Laufbahn

Malvika: „Als ich im Dezember meinen Line-Release-Checkflug durch einen Ausbilder hatte, um Kommandantin zu werden, bat ich den ursprünglich geplanten Kapitän mit Piya zu tauschen, weil das ein ganz besonderer Flug für mich war. Und es hat geklappt. So wurde dies zu meinem schönsten Moment in meiner fliegerischen Laufbahn.“ Ergänzend merkt Piya Oberoi an: „Wir haben es versucht und das Unternehmen hat es unterstützt.“ 

Eine weibliche Indigo-Crew auf dem Weg zum nächsten Einsatz. Bild: Indigo

Malvika Sharan sah zunächst nicht die Notwendigkeit, sich beim Eintritt in das Unternehmen als Mentee betreuen zu lassen: „Ich hatte nicht das Bedürfnis einen Mentor zu haben. Aber ich war dem Programm gegenüber aufgeschlossen und respektierte, wofür es stand. Doch heute ist Piya ein so wichtiger und integraler Bestandteil meines Lebens geworden. Jetzt haben wir eine wunderbare Freundschaft von der ich weiß, dass sie ein Leben lang halten wird. Ich kann offen sagen, dass der Verlauf meiner Karriere bei Indigo und meine persönlichen Erfahrungen ohne dieses Programm und Piya ganz anders verlaufen wären. Es hat mich sehr positiv beeinflusst. Und Captain Piya hat mich wunderbar durch kleine und große Herausforderungen geführt.“