Germanwings Absturz: Tragischer Selbstmord des Copiloten

Heute jährt sich der Absturz von Flug 4U9525 der Lufthansa-Tochter Germanwings zum zehnten Mal. 149 Menschen hat ein depressiver Copilot mit in den Tod gerissen.
Es gibt Tage, die brennen sich ins Gedächtnis ein. So ein Tag war der 24. März 2015 – heute vor genau zehn Jahren. Was zum Tag des Germanwings Absturzes werden sollte, begann ganz alltäglich. In der AERO-INTERNATIONAL-Reaktion ging an diesem Dienstag bis zum späten Vormittag alles seinen geregelten Redaktionsgang. Das Team steckte mitten im Redaktionsschluss für das Heft 5/2015, an jedem Schreibtisch wurde Korrektur gelesen, jeder einzelne Mitarbeitende widmete sich konzentriert den vorliegenden Artikeln.
„Jede Menge Baustellen“, titelten wir beispielsweise über Air Berlin und ließen die Weltumrundung der Solar Impulse 2 Revue passieren. Der Erstflug der CS300, die inzwischen A220 heißt, war ein weiteres Thema. Dazu kam eine Fotoreportage über den Flughafen von Donezk, der bei ersten Kämpfen zwischen pro-russischen Milizen und der ukrainischen Armee zerstört worden war.
Das Gros der Seiten war bereits freigegeben für den Druck, als die erste Kollegin in die Küche ging, um sich einen Kaffee zu holen. Und ihr kurzer Blick ins Wide World Web, um die Weltlage zu checken, sorgte zunächst einmal für Besorgnis, mehr nicht.
Auf der Seite eines Nachrichtenportals hieß es, dass ein Flugzeug der Germanwings, unterwegs mit der Flugnummer 4U9525 von Barcelona nach Düsseldorf, vom Radar verschwunden sei. Und zwar in einem Gebiet in den französischen Alpen nahe Seyne-les-Alpes – dort, wo laut dem Portal Flightradar nunmehr Hubschrauber kreisten. Doch in den folgenden Stunden sollten sich die Meldungen zum Germanwings Absturz überschlagen.
Germanwings-Flug 9525: Was war passiert?
Wie sich im Laufe der folgenden Wochen herausstellen sollte, war Germanwings-Flug 9525 mit 144 Passagieren und sechs Besatzungsmitgliedern verspätet um eine Minute nach zehn in Barcelona zum Flug nach Düsseldorf gestartet.
Um 10.27 Uhr erreichte das Flugzeug, eine zu jenem Zeitpunkt 24 Jahre alte A320 mit der Kennung D-AIPX, die zugewiesene Reiseflughöhe von 38.000 Fuß (rund 11.600 Meter). Noch um 10.30 Uhr MEZ hatte der Kapitän Funkkontakt zur Flugsicherung, dann verließ er das Cockpit für einen Toilettenbesuch.
Nicht einmal eine Minute später stellte der allein zurückgebliebene Copilot beim Autopiloten eine barometrische Zielhöhe von 100 Fuß, also rund 30 Meter über Meeresspiegel, ein und erhöhte zusätzlich die Geschwindigkeit. Die Sinkgeschwindigkeit betrug im Durchschnitt 3500 Fuß pro Minute.
Die Flugsicherung stutzte ob der Radarbeobachtung. Versuche, mit der Besatzung in Kontakt zu treten, blieben erfolglos. Um 10.35 Uhr nahm der Stimmenrekorder Rufe aus der Bordküche und das Schlagen gegen die Cockpittür auf, die der Copilot jedoch verriegelt ließ.
Um 10.41 Uhr zerschellte das Flugzeug an dem Bergmassiv Trois-Évêchés in 1550 Metern Höhe. In ihrem Abschlussbericht stellte die französische Flugsicherheitsbehörde BEA fest, dass das Germanwings-Flugzeug durch den Copiloten willentlich zum Absturz gebracht worden war. Ein erweiterter Suizid also. Das Unglück gilt bis heute als das schwerste in der Geschichte der Lufthansa Group.
Wer war an Bord des Unglücksflugs 4U9525?
Die Opfer des Germanwings Absturzes stammten aus 17 Nationen, der größte Teil aus Deutschland und Spanien. Zu den 144 Passagieren zählten unter anderem die Altistin Maria Radner und der Bassbariton Oleg Bryjak. Auch waren 16 Zehntklässler sowie zwei Lehrerinnen des Joseph-König-Gymnasiums im nordrhein-westfälischen Halter am See, von einem Schüleraustausch zurückkehrend, an Bord. Die Besatzung bestand aus zwei Piloten und vier Flugbegleitern, die in Düsseldorf stationiert waren.
Wie gingen die Medien mit dem Germanwings Absturz um?
All das wissen wir heute. Dank des Abschlussberichts der französischen Flugsicherheitsbehörde BEA. Am 24. März 2015 und in den Tagen danach blühten dagegen die Spekulationen. Plötzlich schossen selbsternannte Luftfahrtexperten aus dem Boden, die die Branche kaum kannte, und nährten den unbändigen Hunger nach Information. Die A320? War plötzlich ein technisch hochgerüstetes Flugzeug, vom Menschen kaum zu beherrschen. Selbstmörderische Piloten? Gebe es zuhauf – auch Amokflüge, wohin man nur schaut. Die Öffentlichkeit war schockiert.
Auch in der AERO-Redaktion glühten die Leitungen, die Anfragen von Funk und Fernsehen für Einschätzungen und Hintergrundinformationen kamen im Minutentakt. Doch was sollten wir sagen, solange auch wir nichts wussten? Fachjournalisten bedienen schließlich eine informierte Klientel, die sich darauf verlassen will, verlässliche Fakten zu bekommen.
Gegen den Wust an Halbwissen traten dagegen regelmäßig Lufthansa-Vorstandsvorsitzender Carsten Spohr und Germanwings-Chef Thomas Winkelmann vor der Presse an und berichteten, wenn es etwas zu berichten gab – sachlich, emphatisch.
Was waren die Konsequenzen aus dem Unglück?
Die französische Flugunfallbehörde empfahl in ihrem Bericht der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) und den EU-Mitgliedstaaten routinemäßige Überprüfungen der Piloten speziell auch auf psychische Störungen. Die Entriegelung der Cockpit-Türen stand für die Experten hingegen nicht zur Diskussion.
Hintergrund: Wer ein Cockpit betreten möchte, muss einen Code an der Tür eingeben, den nur die Crew kennt. Anschließend prüft der im Cockpit Sitzende über eine Kamera, wer eintreten möchte, bevor er die Tür öffnet. Will er dies nicht, ist nichts zu machen.
Diese Regel war infolge der Ereignisse vom 11. September 2001 eingeführt worden, als Terroristen Cockpits von Passagiermaschinen gekapert hatten, um die Jets als Waffen zu nutzen und in Gebäude zu steuern.
Etliche Airlines setzten nach dem Germanwings Absturz vielmehr auf die Zwei-Personen-Regel: Niemals sollte eine Person allein im Cockpit sitzen. Muss ein Flugzeugführer auf die Toilette, ersetzt ihn in der Pilotenkanzel ein Flugbegleiter beziehungsweise eine Flugbegleiterin. Doch diese Regel ist inzwischen weitgehend schon wieder Vergangenheit.
AERO International startete bereits zur Ausgabe 6/2015 eine Kampagne: „Ja, ich fliege gern!“ 88 Piloten von 14 internationalen Fluggesellschaften folgten der Initiative und wehrten sich so gegen den in einschlägigen Medien vermittelten Eindruck, der Beruf des Verkehrsflugzeugführers sei stressreich, von brutaler Arbeitsüberlastung und autoritären Strukturen geprägt, kurz: alles andere als erstrebenswert.