Flughafen München: „Mit Discover wird sich eine kleine Angebotslücke schließen“
Oliver Dersch von der Flughafen München GmbH spricht im Interview über das Flugangebot, neue Verbindungen, die Präsenz der Lufthansa, Klimaaktivisten und die Eröffnung des neuen Flugsteigs am Terminal 1.
Der Flughafen München ist der zweitgrößte Airport in Deutschland. AERO INTERNATIONAL-Redakteurin Astrid Röben und der AERO-Herausgeber Dietmar Plath haben mit Oliver Dersch, Leiter des Geschäftsbereichs Aviation der Flughafen München GmbH, ein Interview geführt. Es geht unter anderem um das Flugangebot im Sommer 2024, mögliche neue Verbindungen, die Präsenz der Lufthansa, Klimaaktivisten und die Eröffnung des neuen Flugsteigs am Terminal 1.
Der Flughafen München zählte 2023 mit mehr als 37 Millionen Fluggästen 17 Prozent mehr Passagiere als im Jahr zuvor. Doch wann können Sie wieder an das Vor-Corona-Niveau anknüpfen?
Oliver Dersch: Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern sind wir in Deutschland generell noch ein Stück weit entfernt von den 2019er-Zahlen. Ein wesentlicher Faktor ist der immer noch stark hinterherhinkende Inlandsverkehr. Hier ist die Erholungsrate am geringsten. Dieser Verkehr fehlt uns. Doch wir in München werden das über die kommenden Jahre hinweg glücklicherweise mit Umsteigeverbindungen und internationalen Flügen überkompensieren können. Der Langstreckenverkehr, insbesondere die Flüge nach Nordamerika und Asien, hat das 2019er-Passagierniveau schon wieder erreicht, teilweise sind wir sogar schon im Plus. Auch im europäischen Verkehr sehen wir hohe Erholungsraten.
Allerdings zählen Sie deutlich weniger Flugbewegungen, momentan sind es durchschnittlich 1000 Starts und Landungen pro Tag …
Genau. Da liegen wir aktuell bei unter 80 Prozent des Vor-Corona-Niveaus. Doch wir beobachten, dass die Fluggesellschaften größeres Fluggerät nach München einsetzen. Dazu kommen rekordhohe Auslastungen. Und das ist schon sehr beachtlich, vor allem angesichts der nach wie vor recht hohen Ticketpreise. Diesen Trend bewerte ich aber positiv, denn er zeigt, wie hoch die Nachfrage im Markt ist.
Wie zufrieden sind Sie mit dem Münchner Flugangebot in diesem Sommer?
Sehr zufrieden! Das Langstreckennetz steht wieder vollumfänglich zur Verfügung, und wir können sogar einige neue Ziele anbieten. Derzeit sind in München so viele Langstreckenflugzeuge wie nie zuvor stationiert. In Kürze nimmt auch noch die Gulf Air Flüge ab München auf. Und mit unserem europäischen Netz sind wir inzwischen auch wieder gut aufgestellt.
Sehen Sie im internationalen Verkehr noch Ziele, die für München interessant wären?
Gerade für die Lufthansa sehe ich dank ihres bereits bestehenden Feedernetzes noch großes Potenzial. Der Konzern könnte so auch exotische Destinationen gut bespielen. Wir freuen uns sehr, dass Sao Paulo jetzt neu aufgelegt wird. Mit Discover Airlines, die im kommenden März hier zwei Maschinen stationieren möchte, schließt sich für uns in München eine kleine Angebotslücke, denn die Airline nimmt ja primär Kurs auf touristisch attraktive Langstreckenziele. Flüge nach Florida oder ins südliche Afrika stehen uns gut zu Gesicht. Und ich gehe fest davon aus, dass Discover hier in München erfolgreich sein und das Angebot weiter ausbauen wird.
Der Flughafen München ist weltweit bekannt für seine Qualität, Skytrax zeichnet ihn regelmäßig aus. Wie leicht ist es für Sie, neue Kunden beziehungsweise neue Verbindungen zu akquirieren?
Ich denke, das fällt dem Gros der Flughäfen – vielleicht mit Ausnahme der ganz, ganz großen Airports wie London, Paris oder auch Frankfurt – gleich schwer. Wenn sich Airlines aus Übersee überlegen, nach Deutschland zu fliegen, fällt ihnen natürlich als erstes der größte deutsche Airport ein – Frankfurt. Dem geht selbstverständlich eine ausführliche Bedarfsanalyse voraus, doch die Entscheidung liegt ja nahe.
Wir als Nummer zwei in Deutschland haben es also etwas schwerer. Zumal wir im Buhlen um Verbindungen auch im Boot mit Flughäfen sind, die ebenso mit einem starken Einzugsgebiet und ihrer Lage im Herzen Europas punkten wollen. Doch unser Vertriebsteam ist sehr professionell unterwegs, verfügt über viele langjährige Kontakte in der Airline-Industrie und tauscht sich regelmäßig mit den Kunden aus.
Das allein wird kaum helfen, oder?
Unsere Analysetools können relativ genau sagen, wie viele Passagiere, wann und zu welchem Preis in welcher Ticketklasse bereit wären, den Flug zu buchen. Das Ganze führt dann zu einer Strecken-Ergebnis-Rechnung. Und wenn diese positiv ausfällt und zur Strategie der Fluggesellschaft passt – plus, dass die Verkehrsrechte eine Realisierung ermöglichen –, dann kann es, wenn man Glück hat, zu einer neuen Verbindung kommen. Das sind allerdings sehr langwierige Verfahren.
An manchen Projekten arbeiten wir zehn, 20 Jahre. Deswegen ist es gut, wenn man als Flughafen viele Pfeile im Köcher hat, einer trifft dann auch. Ein qualitativ hervorragender Flughafen ist das eine. München ist aber auch eine großartige touristische Incoming-Destination, nicht nur für US-Amerikaner oder arabische Gäste, die das Bayrische erleben möchten. Und im Einzugsgebiet lebt eine recht wohlhabende Klientel, haben viele erfolgreiche Unternehmen ihren Sitz.
Das klingt doch nach schlagkräftigen Argumenten!
Stimmt, aber dennoch ist es nicht ganz einfach eine Fluggesellschaft zu überzeugen, neue Verbindungen aufzunehmen, weil das Investment so hoch ist. Die Airline braucht erst einmal ein Flugzeug, bei einem Langstreckenflugzeug liegen wir schnell mal bei mehreren hundert Millionen Euro. Dazu kommen die Betriebskosten und der Druck, schnell profitabel zu performen.
Welche Zielregion hat Potenzial?
Ich sehe da beispielsweise Addis Abeba. Das würde unserer Meinung nach sehr gut funktionieren. Äthiopien ist keinesfalls ein Nischenziel. Ethiopian Airlines ist ein Premiumcarrier, der in der Hauptstadt ein Mega-Drehkreuz betreibt. Darüber könnte nicht nur ganz Ostafrika angebunden werden, sondern auch das südliche Afrika. Das wäre für den Flughafen München sehr attraktiv, weil nahezu konkurrenzlos.
Lufthansa hat ihr Afrikanetz in Frankfurt konzentriert. Münchner Passagiere fliegen aktuell über den Nahen Osten. Doch leider ist es in diesem Fall so, dass keine Verkehrsrechte für die zusätzliche Bedienung Münchens vorliegen.
Ist Nordamerika für München ein Selbstläufer?
Die Verbindungen laufen sehr gut. Natürlich auch dank der engen Kooperation von Lufthansa mit United Airlines oder Air Canada, weil sehr viele Amerikaner sehr gerne Deutschland besuchen und in Nordamerika sehr viel höhere Ticketpreise bezahlt werden, als es bei uns der Fall ist. Der Incoming-Anteil liegt in München höher als der Outgoing-Anteil.
Wie stark wirkt sich die massive Präsenz der Lufthansa in München bei der Akquirierung aus?
Das ist Fluch und Segen zugleich. Das kann sich beflügelnd auswirken, wenn die ins Auge gefassten Airlines Partner der Lufthansa sind. United Airlines hat sich beispielsweise hier großartig entwickelt, bietet inzwischen sechs tägliche Flüge an. Die starke Präsenz der Lufthansa kann aber auch eine abschreckende Wirkung haben. Grundsätzlich hat der Flughafen München der Lufthansa viel zu verdanken. Dank der engen Kooperation stehen wir heute da, wo wir stehen. Dass hier die A380-Flotte der Lufthansa stationiert ist und München damit neben London-Heathrow die einzige Basis der Riesenairbusse in Europa ist, hat natürlich eine gewaltige Strahlkraft.
Außerdem hatte die Lufthansa ihre damals neue A350-Flotte im Erdinger Moos stationiert. Ein Glücksfall für München?
Absolut. Es ist ein sehr zuverlässiges Flugzeug, das alle kommerziellen Erwartungen seitens der Airlines erfüllt. Ich kann mich aber auch an andere Zeiten erinnern. Über viele Jahre hinweg war die A340 Backbone der Lufthansa in München. Diese Vierstrahler waren zweifellos nicht die wirtschaftlichsten Flugzeuge; mit ihnen konnte das Langstreckennetz nicht so wirtschaftlich bespielt werden. Das spielte dem Flughafen München über einige Jahre hinweg in der Entwicklung nicht unbedingt in die Karten.
Mit der A380 ist das jedoch so eine Sache: Fürs Image ist der Riesenairbus großartig, doch wirtschaftlich gesehen gilt er schon als Herausforderung.
Die Wirtschaftlichkeit einer vollbesetzten A380 im Vergleich zur A350 ist ja auf ähnlich gutem Niveau. Das Problem bei der A380 ist aber, dass Airlines sie auch einsetzen müssen, wenn die Nachfrage gerade nicht so hoch ist, im Januar beispielsweise. Deshalb ist die A350 für Fluggesellschaften immer die einfachere Wahl.
Lufthansa wird die ITA Airways in den Konzern integrieren. Was bedeutet das für München, zumal der Flughafen ja auch Norditalien zu seinem Einzugsgebiet für die Langstreckenverbindungen zählt?
Richtig ist, dass Italien für uns einen sehr, sehr wichtiger Markt darstellt. Ich würde sogar sagen: im Feederverkehr ein Kerneinzugsgebiet. Die Lufthansa-Tochter Air Dolomiti ist da sehr präsent und sammelt viele Passagiere in Norditalien ein. Jeder zweite Umsteiger aus den USA fliegt weiter nach Italien. Ob in Zukunft mehr Verkehr über Italien konsolidiert wird oder es doch in die andere Richtung geht, bleibt abzuwarten. Ich habe da wenig Sorgen.
Wie entspannt läuft die Hauptreisezeit? Haben Sie genügend Mitarbeiter?
Die Bewältigung des Verkehrs zur Hauptreisezeit ist für alle europäischen Drehkreuzflughäfen anspruchsvoll. Der Betrieb gleicht einem Präzisionsuhrwerk, da müssen viele Rädchen ineinandergreifen, damit es reibungslos läuft. Ich bin sehr zufrieden, wie viel zusätzliches Personal wir und die Unternehmen am Standort in den vergangenen Monaten rekrutieren konnten und wie viel Mitarbeiter ausgebildet wurden.
Allein unser Abfertigungsanbieter AeroGround hat in den zurückliegenden zwölf Monaten mehr als 500 Mitarbeiter neu eingestellt, die alle geschult werden mussten. Und das ist schon beachtlich, zumal hier in dieser Region nahezu Vollbeschäftigung herrscht. Viele der neuen Kolleginnen und Kollegen wurden in anderen Teilen Europas angeworben. Generell blicke ich positiv auf diesen Sommer. Wir sind gut aufgestellt.
Die Aktionen der Letzten Generation nehmen wieder massiv zu. Müssen die Flughäfen mehr in den Schutz der Anlagen investieren?
Der Flughafen ist letztendliche zivile Verkehrsanlage, und wir sprechen von einem riesigen Areal. So haben wir in München eine Zaunlänge von fast 40 Kilometern. Sämtliche Sicherheitseinrichtungen des Münchner Flughafens entsprechen den Vorgaben der internationalen zivilen Luftfahrtorganisation ICAO. Die mit den zuständigen Aufsichtsbehörden und der Polizei abgestimmten Sicherungsmaßnahmen gehen über die gesetzlichen Anforderungen deutlich hinaus.
Der Flughafen München hat in den vergangenen Jahren bei Audits sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene sehr gut abgeschnitten. Der Flughafen sowie die Polizei- und Sicherheitsbehörden stehen im regelmäßigen engen Austausch. Vorfälle, bei denen mit brachialer Gewalt und hoch krimineller Energie die lokalen Sicherungsmaßnahmen durchbrochen werden, nehmen wir sehr ernst. Hier wurden inzwischen zahlreiche zusätzliche personelle wie technische Maßnahmen ergriffen.
Kommen wir zu etwas Erfreulicherem: Wie bedeutend ist die Eröffnung des neuen Flugsteigs am Terminal 1?
Es war die richtige Entscheidung unserer Geschäftsführung, dass sie den Bau selbst in Coronazeiten nicht gestoppt hat. Der neue Flugsteig ist ein großer Schritt nach vorn. Mal ungeachtet von dem zwischenzeitig erfolgten Ausbau mit dem Terminal 2 inklusive Satelliten hier am Standort: Der Flughafen wurde Anfang der neunziger Jahre eröffnet, doch die Planung stammt noch aus den Siebzigern.
Terminal 1 steht für kurze Wege, doch es ist, so ehrlich muss man sein, für heutige Flugzeuggrößen wie den A380 der Emirates einfach nicht geschaffen. Im Einreisebereich sind die Verhältnisse einfach beengt. Auch ist es uns aufgrund der modularen Bauweise des Terminals gar nicht möglich, ein vielfältiges Gastro- und Shoppingangebot, also ein Airport-Erlebnis, vorzuhalten. Der neue Flugsteig wird dagegen mindestens das Niveau des Terminals 2 erreichen. Zentrale Sicherheits- und Passkontrollen sind mit modernster Technik ausgestattet. Ich freue mich wirklich sehr auf die Eröffnung.
Wie sieht der Zeitplan aus? Mit der Fertigstellung wird Ende 2025 gerechnet, dann erfolgt jedoch erst einmal ein Probebetrieb. Wie lang soll dieser laufen?
Das ist noch nicht final entschieden. Vermutlich wird jedoch eine volle Inbetriebnahme im ersten Quartal 2026 stattfinden. Für das Segment, mit dem wir hier in München wachsen wollen, ist es essenziell.