Es wurden bereits Mitschnitte des Funkverkehrs im Netz hochgeladen. Was meint Luftfahrtexperte Thomas Borchert dazu, gibt es Auffälligkeiten? Sieht man in den Kurs- und Höhendaten, ob die Maschine kurz vor der Landung vom Anflug abweicht? Diese und weitere Fragen im Interview!

Die Bewohner eines Mehrfamilienhauses in der litauischen Hauptstadt Vilnius hatten großes Glück im Unglück. Neben ihren Haus stürzte am Montag, 25. November, eine Boeing 737-400 der spanischen Fluggesellschaft Swiftair ab, die im Auftrag des deutschen Paketzustellers DHL von Leipzig nach Litauen unterwegs war. Die Hausbewohner blieben alle unverletzt, für mindestens ein Besatzungsmitglied des Frachtflugzeugs kam allerdings jede Hilfe zu spät. Drei weitere Crewmitglieder werden derzeit im Krankenhaus behandelt.

Flug QY-5960: Interview zum Flugzeugabsturz in Litauen

AERO INTERNATIONAL-Chefredakteur Thomas Borchert hat dem SWR ein Interview gegeben und mit SWR Aktuell-Moderator Andreas Fischer über den Flug QY-5960 gesprochen. Es geht dabei auch um Mitschnitte des Funkverkehrs im Netz, der Anzeichen für einen ungewöhnlichen Vorgang geben könnte. Hier können Sie das Interview lesen:

Andreas Fischer, SWR Aktuell: 

Im Internet kann mittlerweile jeder nach solchen Abstürzen recherchieren. Bei sogenannten Flugtrackern kann man Höhen- und Geschwindigkeitsdaten von zivilen Flugzeugen abrufen, auch Mitschnitte des Funkverkehrs von heute früh sind schon hochgeladen. Lässt sich anhand dieser Daten etwas Ungewöhnliches erkennen? 

Thomas Borchert, AERO INTERNATIONAL: 

Ja, ungewöhnlich ist auf jeden Fall, dass die Crew ja am Anfang mit einem sogenannten Anflug-Lotsen geredet hat. Der führt einen in die Umgebung des Flugplatzes und dann wird man irgendwann, wenn man den finalen Anflugkurs auf die Landebahn eingenommen hat, weitergeschickt an den Tower-Lotsen, der unmittelbar für den Flugplatz zuständig ist. Diese Aufforderung zum Wechsel der Frequenz hat die Crew auch bekommen und bestätigt, ist dann aber nicht auf der neuen Frequenz aufgetaucht. So wie es scheint, hat sie sich also nie beim Tower gemeldet, und das könnte schon ein Anzeichen dafür sein, dass die mit irgendwas so sehr beschäftigt waren, was da gerade passiert ist, was dann letztlich auch mit dem Absturz zu tun hatte. 

Sieht man denn in den Kursdaten und Höhendaten, ob die Maschine kurz vor der Landung signifikant vom Anflug abweicht? 

Je tiefer das Flugzeug fliegt, desto schwerer ist es für diese Tracker, die ja nicht offiziell sind, den Flugweg zu erfassen. Das wird also dann die Unfallanalyse im Detail ergeben, aber auch von dem Video her, das ja zu sehen ist, kann man sagen: Es ist schon so, dass die Maschine offenbar unterhalb des vorgesehenen Gleitpfads geflogen ist – und dann eben so weit unterhalb, dass sie irgendwann auf dem Boden aufkam. 

Ein Sprecher des Logistikunternehmens DHL, in dessen Auftrag die Maschine ja unterwegs war, spricht davon, dass die Crew eine Notlandung durchführen habe müssen. Gibt es dafür in diesen Daten und Aufzeichnungen schon Anzeichen? 

Nicht so wirklich. Ich meine, das Flugzeug war ja ohnehin im Landeanflug sehr dicht am Boden, und insofern, wenn die dann nicht sehr dramatische Steuereingaben machen, dann wird das Flugzeug einfach so langsam sinken in Richtung Boden, eben ein bisschen schneller als es ursprünglich sinken soll, sodass es dann einen guten Kilometer vor der Landebahn auf dem Boden aufkommt. Aber ob die jetzt tatsächlich bewusst versucht haben zu landen, oder ob sie aus Versehen zu tief gekommen sind, das lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht beurteilen. 

Am Montagmorgen, 25. November, ist diese Boeing 737 F von Swiftair – unterwegs im Auftrag für DHL Aviation – in Litauen abgestürzt.
Am Montagmorgen, 25. November, ist diese Boeing 737 F von Swiftair – unterwegs im Auftrag für DHL Aviation – in Litauen abgestürzt. Bild: Frank Föhlinger / @muctakeoff

Diese Ursachensuche übernehmen ja in solch einem Fall Flugunfall-Ermittler. Auch deutsche Ermittler sind auf dem Weg nach Vilnius. Wie läuft eine solche Unfalluntersuchung ab? 

Ja, das ist tatsächlich so, dass auch die deutschen Behörden sich beteiligen können, wenn sie wollen, weil das Flugzeug in Deutschland gestartet ist. Das Land, in dem der Crash passiert ist, ist dann meistens führend. Es kann dann das Land des Flugzeugherstellers, also die USA, in diesem Fall, weil es eine Boeing ist, auch ermitteln. Dann das Land, in dem das Flugzeug registriert ist. Das ist Spanien, weil es eine spanische Fluggesellschaft ist. Die können sich alle beteiligen, sie müssen nicht, aber sie können. Und dann untersuchen die gemeinsam das Wrack. Es gibt den Flugdatenschreiber genauso wie den Cockpit Voice Recorder, die werden jetzt erstmal gesucht. Da wird sich sicherlich Interessantes finden. Und dann kann das Monate sogar Jahre dauern, bis dann irgendwann feststeht, was genau passiert ist. 

Es ist bei diesem Absturz ja auch ein großes Feuer ausgebrochen. Wie gut überleben denn diese Flugdatenschreiber solche Unglücke? 

Das können die tatsächlich ab, genau dafür sind sie konstruiert. Das sind ja diese kleinen Boxen, die gerne als Blackbox bezeichnet werden. Dabei sind sie leuchtend orange markiert, damit man sie in den Trümmern findet, also die waren noch nie „black“. Aber die sind wirklich darauf ausgerichtet, die haben ja so Schuhkartongröße, dass sie Feuer und auch Wasser überstehen. Gerade jetzt mit digitalen Methoden, dass das also nicht mehr auf einem Tonband gespeichert wird, sondern in einem Chip, das macht die ganze Sache dann beständiger für Feuer und solche Dinge. 

Schauen wir mal auf den Betreiber der Maschine. Es handelt sich um eine spanische Fluggesellschaft, Wir haben es schon erwähnt, die heißt Swiftair und war im Auftrag von DHL unterwegs. Was ist denn über diese spanische Fluggesellschaft bekannt? 

Ja, die gibt es schon ein bisschen länger. Ich glaube, seit den Neunzigern oder sogar schon seit den Achtzigern. Sie hat im Moment 42 Flugzeuge, die im Betrieb sind, und davon sind, glaube ich, 38 Frachtflugzeuge, sie hat noch vier Propellerflugzeuge, die im Passagierdienst unterwegs sind, aber eher auf kürzere Strecken. Sie hat schon viel Fracht geflogen, unter anderem auch für die Vereinten Nationen, auch in Krisengebiete. Und so ganz unfallfrei ist sie in ihrer Geschichte auch nicht geblieben. Also so ganz toll ist der der Track Record dieser Fluggesellschaft nicht, aber es ist jetzt auch nicht so, dass das irgendwie eine Seelenverkäufer-Airline ist oder irgend sowas. 

Welche Risiken gibt es denn generell bei der Frachtfliegerei im Vergleich zur Personenluftfahrt? 

Es gibt diesen Spruch in der Branche, „der Fracht gehört die Nacht“, also die Frachtflugzeuge sind meistens nachts unterwegs. Das ist schon mal ein Risiko, weil es ist dann eben, während man startet und landet, häufig dunkel ist. Es geht auch öfter mal zu kleineren Flughäfen, die dann versorgt werden müssen mit irgendwelchen Gütern, wo dann Flüge komplizierter sein können. Insofern ist das Risiko ein kleines bisschen höher, aber letztlich in der Sicherheitsstatistik, glaube ich, zeigt sich nicht unbedingt, dass jetzt Fracht wahnsinnig viel riskanter ist als Passagier-Luftverkehr. 

Wir haben es vorhin schon angesprochen, die Maschine jetzt in Vilnius befand sich wirklich auf dem allerletzten Teil des Landeanflugs auf den dortigen Flughafen. Warum ist diese Phase in der Luftfahrt besonders heikel? 

Ja, die ist deshalb besonders heikel, weil man einerseits nicht wirklich hoch ist. Man nähert sich halt immer mehr dem Boden an und damit auch Hindernissen oder eben ja dem Boden selbst. Und zweitens ist man, anders als zum Beispiel beim Start, relativ langsam unterwegs. Also man ist im Landeanflug über längere Zeit langsam. Und wenn ein Flugzeug zu langsam wird, dann hört es halt auf, Auftrieb zu erzeugen, und fliegt dann nicht mehr. Insofern ist man in einem, wenn man so will, riskanteren Bereich unterwegs, da machen sich dann auch die Einflüsse der Natur, also sowas wie Wind, Sturm und Böen, das macht sich dann auch bemerkbar, so dass das Risiko da schon ein bisschen höher ist als im Reiseflug zum Beispiel. 

Wer das Interview zum Flugzeugabsturz in Litauen lieber hören machte, hat hier die Möglichkeit dazu: https://www.swr.de/swraktuell/radio/dhl-flug-warum-der-absturz-100.html.