Kerosin statt Wasser: Diese Verwechslung im Wartungshangar der Paninternational kostete 22 Menschen das Leben. Dass dem Kapitän der BAC 1-11 eine Notlandung im Segelflug auf der A7 nördlich von Hamburg gelang, gilt dennoch bis heute als fliegerische Meisterleistung.

Damals war der Begriff Start-up noch nicht üblich, aber er passt: 1969 gründeten Jürgen Botzenhardt und Tassilo Trommer in München das Jugendreiseunternehmen Paneuropa. Beide hatten große Ideen, aber weder Geld noch Erfahrung in der Reisebranche. Aufgrund von Namenskonflikten mit Pan American wurde die Firma in Paninternational umbenannt. Die Buchungen liefen gut an, doch es wurde zunehmend schwierig, ausreichend Charterkontingente bei Airlines wie Condor zu bekommen. So kam Trommer die Idee, ein eigenes Flugzeug zu beschaffen.

Weil damals die Steuergesetzgebung erlaubte, private Beteiligungen an „neuen Transportmitteln“ steuerlich abzusetzen, warb Paninternational bei vermögenden Privatpersonen dafür, sich am aufstrebenden Unternehmen zu beteiligen.

Paninternational schließt Vertrag mit Neckermann-Reisen

Trommel und Botzenhardt hatten binnen weniger Wochen hunderte Kommanditisten an Bord, die Paninternational genug Liquidität bescherten, um einen eigenen Charterflugbetrieb aufzubauen. Das Talent, praktisch ohne eigenes Geld vorhandene Schlupflöcher zu nutzen, brachte den beiden den Ruf gewiefter Glücksritter ein: Der Spiegel titelte „Vertrauter mit Steuertricks als mit dem Steuerknüppel“.

Die junge Airline Paninternational schloss einen Zehn-Jahres-Vertrag mit Neckermann-Reisen ab, einem der größten Reiseveranstalter der Republik. So war die Flotte von vier britischen BAC 1-11, ausgesprochen oft „One-Eleven“ genannt, und zwei vierstrahligen Boeing 707-100 bestens ausgelastet. Das alles geschah just, als bisher unerschwingliche Flugreisen eine Massenkundschaft erreichten.

Zu lange Dienstzeiten und Nichtbeachtung von Sicherheitsvorschriften

Doch Insider wussten, dass das Management bei Paninternational alles andere als professionell war. Das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) ging Vorwürfen wegen zu langer Dienstzeiten und Nichtbeachtung von Sicherheitsvorschriften nach. Doch der Flugbetrieb ging vorerst weiter – bis der Tag kam, der bis heute als einer der dunkelsten in der deutschen Nachkriegsluftfahrt gilt.

Der 32 Jahre alte Kapitän Reinhold Hüls und die gleichaltrige Copilotin Elisabeth Friske hatten am 6. September 1971 ein volles Dienstprogramm, als sie sich im Crewraum zur morgendlichen Flugvorbereitung in Düsseldorf trafen. Nicht weniger als sechs Flüge standen auf dem Tagesplan. Von der Basis in Düsseldorf sollte es über Frankfurt nach Malaga in Südspanien gehen, von dort zurück nach Hannover, dann nach Hamburg, wieder nach Malaga und zurück nach Düsseldorf. Dienstzeiten von bis zu 16 Stunden waren zu jener Zeit legal.

6. September 1971: Tragisches Unglück auf dem Flug DR 112

Das Flugzeug war eine zweistrahlige BAC 1-11-500 mit dem Kennzeichen D-ALAR. Diese One-Eleven war noch fast neu: Im Januar 1970 hatte sie die Werkshallen im britischen Bournemouth verlassen. Die BAC 1-11 war für Kurz- und Mittelstrecken konzipiert. Ihre beiden Spey-Triebwerke von Rolls-Royce produzierten neben 55,8 kN Schub einen infernalischen Lärm – damals war das allerdings normal.

Hüls und Friske wurden von vier Flugbegleiterinnen unterstützt. Die ersten Flüge von Frankfurt nach Malaga und zurück nach Hannover verliefen ohne weitere Vorfälle. Allerdings war die Maschine vor dem Abflug nach Hamburg über eine Stunde verspätet. Gegen 17.15 Uhr landete D-ALAR nach einem kurzen Hüpfer aus Hannover auf dem Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel. Sofort nachdem die BAC 1-11 an der Parkposition angekommen war, begannen die Piloten mit den Vorbereitungen für Flug DR 112 nach Malaga, der mit drei Stunden der längste Flug des Tages werden sollte. Alle 115 Passagiersitze in 3-2-Anordnung waren ausgebucht. Um 18.11 Uhr rollte Flug DR 112 zur Startbahn 34 (heute 33). Die Crew hatte bereits etwa 14 Stunden Dienstzeit hinter sich.

In 800 Fuß fallen beide Triebwerke aus

Das Wetter war angenehm für einen Spätsommertag, mit leichter Bewölkung und geringen Winden aus Nordwest, als um 18.18 Uhr Hüls und Friske vom Tower die Startfreigabe erhielten. Bei etwa 150 Knoten (280 km/h) wurde die Nase angehoben und Sekunden später lösten sich die Räder vom Asphalt. Zeugen am Boden hörten das Gebrüll der Triebwerke, als DR 112 langsam an Höhe gewann und das Fahrwerk eingezogen wurde. Nur wenige Augenblicke später ertönte ein Doppelknall, der Triebwerkslärm verstummte schlagartig. In einer Flughöhe von etwa 800 Fuß war erst das linke, dann das rechte Triebwerk ausgefallen.

Aufgrund der geringen Flug- höhe war eine Rückkehr zum Flughafen unmöglich. Die Autobahn dagegen lag fast genau in Flugrichtung.
Aufgrund der geringen Flug- höhe war eine Rückkehr zum Flughafen unmöglich. Die Autobahn dagegen lag fast genau in Flugrichtung. Bild: JADEC

Die BAC 1-11 war schlagartig antriebslos geworden und verlor an Geschwindigkeit. Hüls drückte die Nase nach unten, um nicht langsamer zu werden, während Friske vergeblich versuchte, die Triebwerke wieder zu starten. Aus der 47 Tonnen schweren Maschine war ein Segelflugzeug geworden. Alle an Bord spürten, dass etwas Ungewöhnliches vor sich ging.

Die Crew setzte einen Notruf ab und bat um sofortige Rückkehr zum Flughafen. Doch beide Piloten erkannten, dass ihre Flughöhe niemals ausreichen würde, um im Kurvenflug noch irgendeine Landebahn zu erreichen. Die Klappenstellung von sechs Grad konnte aufgrund der fehlenden Triebwerksleistung nicht verändert werden.

A7 bei Hamburg als einzige Option

Vor den Piloten lagen Felder und Bäume, dahinter die brandneue Autobahn A7 von Hamburg nach Kiel, die gerade erst eröffnet worden war. Hüls erkannte die einzige Chance, den Jet halbwegs unfallfrei auf die Erde zu bringen, genau dort.

Der Rumpf kam neben der Autobahn zu liegen und brannte komplett aus.
Der Rumpf kam neben der Autobahn zu liegen und brannte komplett aus. Bild: picture-alliance/dpa

Er ließ das Fahrwerk wieder ausfahren und leitete einen leichten Rechtsschwenk ein, um sich auf den Fahrbahnverlauf der A7 auszurichten. Der Kapitän schwenkte im Segelflug auf die linke, nach Süden verlaufende Fahrbahn, weil dort kaum Autos fuhren. Nur ein kleiner Fiat 500 kam dem Flugzeug entgegen, dessen geschockte Fahrerin um Haaresbreite unter der Tragfläche hindurchflutschte. Plötzlich kamen die hohen Masten einer Stromleitung in den Blick, deren Kabel sich bedrohlich nahe über der geplanten Aufsetzzone senkten.

DR 112 kracht mit dem Hauptfahrwerk auf den Asphalt

Hüls drückte die BAC 1-11 an den Boden. Nach nur 93 Sekunden in der Luft krachte DR 112 mit dem linken Hauptfahrwerk auf den Asphalt. Die Maschine sauste unter der Überlandlei- tung hindurch. Das Fahrwerk kollabierte. Die linke Tragflächenspitze sackte ab und traf eine Notrufsäule, gefolgt von den Pfosten der Leitplanken. Doch nur wenige hundert Meter weiter kam eine Autobahnbrücke in Sicht!

Der Rumpf begann durch die einseitige Bremswirkung nach links zu schlittern, als die Maschine unter die Brücke glitt, die die Gemeinden Syltkuhlen und Hasloh verbindet. Der westliche Brückenpfeiler durchschnitt den Rumpf der D-ALAR unmittelbar hinter dem Cockpit. Im selben Augenblick prallte das Höhenleitwerk gegen die Brücke, das Heck brach ebenfalls ab. In Drehung versetzt, rutschte die BAC rückwärts hinter der Brücke weiter. Die rechte Tragfläche blieb an einer Eiche hängen, der Restrumpf drehte nochmal um 180 Grad.

Szenarie wie aus einem Katastrophenfilm

Auslaufender Sprit sammelte sich in einem Entwässerungsgraben und fing Feuer. Die Szenerie war wie aus einem Katastrophenfilm. Benommen konnten sich die weniger stark Verletzten befreien und aus dem aufgerissenen Loch im vorderen Rumpf ins Freie springen. Insassen liefen verwirrt umher, als die ersten Rettungseinheiten an der A7 eintrafen.

Die Unglücksmaschine mit der Kennung D-ALAR im Dezember 1970 auf dem Airport Stockholm-Arlanda.
Die Unglücksmaschine mit der Kennung D-ALAR im Dezember 1970 auf dem Airport Stockholm-Arlanda. Bild: Lars Söderström

Die niederschmetternde Bilanz: 18 Menschen starben noch am Unglücksort, drei weitere auf dem Weg ins Krankenhaus. Eine Person erlag eine Woche später ihren schweren Verletzungen. Doch 99 Menschen hatten das Unglück von Hasloh mit zum Teil schweren Verletzungen überlebt. Unter ihnen auch beide Piloten. Eines der schwersten Flugzeugunglücke in Deutschland hatte sich ereignet. Während die Flugunfalluntersuchung anlief, war man sich in Pilotenkreisen einig: Angesichts der Umstände war diese Autobahnlandung von Kapitän Hüls ein fliegerisches Meisterwerk.

Flug DR 112: technisches Versagen?

Schnell wurde klar, dass es ein technisches Versagen beider Triebwerke gegeben haben musste. Nach wenigen Tagen stellte sich heraus, dass Flug DR 112 einer Schlamperei bei der Wartung zum Opfer gefallen war.

Die Triebwerke der BAC 1-11 haben zur Leistungssteigerung eine Wassereinspritzung: Ist besonders viel Power erforderlich, wird aus einem Tank in den Triebwerksgondeln Wasser eingespritzt. So sind bis zu zehn Prozent mehr Leistung möglich, ohne dass die Triebwerke überhitzen. Kapitän Hüls hatte für den Abflug in Hamburg einen solchen Nassstart angeordnet, da die Maschine voll beladen war.

Tödliche Verwechslung bei Flugtreibstoff und Wasser

Während einer Nachtschicht im Wartungshangar in Düsseldorf hatte jedoch ein Techniker etwa 100 Liter Kerosin, also Flugtreibstoff, in zwei 60-Liter-Behälter gefüllt, die eigentlich ausschließlich für Wasser vorgesehen waren. Copilotin Elisabeth Friske ließ vor dem ersten Start des Tages in Düsseldorf die Wasservorräte für den Kühlkreislauf auffüllen. Hierbei kam es zur tödlichen Verwechslung: Ein ahnungsloser Mitarbeiter füllte fünf Kanister ein. Zwei davon waren aber die zuvor irrtümlich mit Kerosin befüllten, deren Inhalt nirgends gekennzeichnet war. Wie genau es zu dieser Verwechslung kam, konnte nicht eindeutig rekonstruiert werden.

In Hamburg befand sich ein Mix von Wasser und Kerosin im Kühlkreislauf. Da das brennbare Kerosin leichter ist als Wasser, sammelte sich das Wasser unten und wurde als erstes in die Turbinen eingespritzt. Erst als es nach etwa einer Minute verbraucht war, wurde nur noch Kerosin verspritzt, was zu explosionsartigen Überhitzungen in den Brennkammern der Triebwerke führte, die sofort ausfielen. Zu diesem Zeitpunkt war DR 112 jedoch bereits in der Luft.

Aufsichtsbehörde nimmt Paninternational unter die Lupe

Im Nachgang des Unglücks von Hasloh wurde deutlich, dass Schlamperei und Schlendrian bei Paninternational bereits im Vorjahr zu einer drohenden Stillegung des Flugbetriebs führten. Eine Serie von Flugausfällen und Pannen dieses rasch wachsenden Jungunternehmens riefen die Aufsichtsbehörde auf den Plan, die Paninternational an die Kette legen wollte. Doch die Firmenlenker hatten einen Joker im Ärmel: Karl Wienand. Wienand war als Abgeordneter der SPD und Intimus von Fraktionschef Herbert Wehner ein einflussreicher Mann.

Er intervenierte persönlich 1970 und im Sommer 1971, um dem leitenden Beamten des Luftfahrt-Bundesamts auszureden, die Charterairline aufgrund zahlreicher Pannen und geschäftlicher Ungereimtheiten am Boden zu lassen. Zugleich hatte Wienand in den Vorjahren eine Summe von 160 000 D-Mark von Paninternational als „Beraterhonorar“erhalten.

Doch das jähe Ende der Paninternational war nach dem Unfall nicht mehr zu verhindern. Die Airline ging im November 1971 in Konkurs. Neckermann und die anderen Reiseveranstalter hatten keine Vertrauen mehr in die Sicherheit dieser Fluglinie. 1974 wurden zwei Techniker aus Düsseldorf zu sieben und acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die später zu Geldstrafen umgewandelt wurden. Ihnen konnte als einzige eine grobe Fahrlässigkeit im Umgang mit den Wasserbehältern nachgewiesen werden.

Der zweite Crash war tödlich

Während Reinhold Hüls seine Fliegerkarriere ein paar Jahre später beendete, zog es Copilotin Elisabeth Friske weiter in die Luft. Friske war die erste deutsche Verkehrspilotin der Nachkriegszeit gewesen und hatte sich ihren Platz in einer Männerdomäne trotz vieler Widerstände erkämpft. Viele Jahre später arbeitete sie als Kapitänin für die Düsseldorfer Geschäftsreise-Fluglinie Travel Air. Im Mai 1987 kollidierte sie mit einem Businessjet vom Typ Cessna Citation kurz vor der Landung in Lübeck mit einem Antennenmast. Friske und zwei weitere Insassen starben. Einziger Überlebender des Unfalls: der damalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel, der fünf Monate später tot in einem Schweizer Hotel aufgefunden wurde.

Wer heute zwischen Hamburg und Quickborn auf der A7 unterwegs ist, hat es schwer, noch Spuren des Unfalls von 1971 zu entdeckten. Doch die Brücke und die Hochspannungsleitung gibt es bis heute.

Text: Jan-Arwed Richter