Übersicht der eVTOL-Szene: Die Hochglanzprospekte und Websites der eVTOL-Hersteller versprechen viel. Doch wie steht es aktuell wirklich um die so vollmundig angekündigten Flugtaxi-Projekte?

Eigentlich war der Beginn der Zukunft für dieses Jahr geplant: Rund um den Globus hätte die Ära der Advanced Air Mobility (AAM) starten sollen. Für die Passagiere sogenannter eVTOL (electric Vertical Take-Off and Landing aircraft), also senkrecht startender und landender Fluggeräte mit Elektroantrieb, wären die chronischen Staus der Megastädte weit unten zurückgeblieben. Zum Taxipreis, so rechneten die Visionäre von Uber Elevate noch vor wenigen Jahren, würde man von Vertiport zu Vertiport fliegen, anfänglich pilotiert, schon bald autonom gesteuert. Damals war von 2024 die Rede, jetzt schieben die eVTOL-Entwickler das Jahr der Einführung immer weiter nach hinten.

Noch nie in der Geschichte der modernen Luftfahrt hat eine Idee die Fantasie von Gründern und Investoren ähnlich beflügelt wie die der eVTOL. 288 Projekte zählt die Investorendatenbank Tracxn derzeit weltweit. Gemessen am Risikokapital, das dieser Bereich an Land ziehen konnte, lässt er Innovationsthemen der Luftfahrt wie Wasserstoff und Sustainable Aviation Fuels (SAF) weit hinter sich. Die Unternehmensberatung McKinsey schätzt, dass allein in den ersten zehn Monaten des Jahres 2022 mehr als 15 Milliarden US-Dollar in den Bereich AAM investiert worden sind.

Zu den Spitzenreitern beim Einsammeln von Risikokapital gehört dabei das deutsche Start-up Lilium. 1,5 Milliarden Euro hat die Entwicklung des Lilium Jets bisher gekostet. Immerhin hat Lilium zahlreiche Absichts- erklärungen für einen Kauf einsammeln können. Der wohl prominenteste Name ist dabei das auf die Vermietung von Businessjets spezialisierte Unternehmen NetJets, das 150 Exemplare kaufen will. Die brasilianische Fluggesellschaft Azul zeichnete für 220 Lilium Jets. Auch mit Lufthansa gibt es eine Kooperation, wenn auch ohne Kaufabsicht. Kürzlich unterschrieb Saudia einen Kaufvertrag über 50 Jets, mit der Option auf 50 weitere.

Spitzenreiter beim Einsammeln von Risikokapital: Die Entwicklung des Lilium Jets hat bislang rund 1,5 Milliarden Euro gekostet. Bild: Lilium

Der siebensitzige Lilium Jet wird von 36 schwenkbaren elektrischen Mantelpropellern angetrieben. Sie ermöglichen ihm einen senkrechten Start, eine Reisegeschwindigkeit von 250 km/h und voraussichtlich eine Reichweite von 250 Kilometern. Derzeit ist eine Musterzulassung für Ende 2025 angestrebt. Dabei hat Lilium als einziger eVTOL- Entwickler eine parallele Zertifizierung in Europa und den USA im Visier. Ohne weitere Geldgeber wird das aber kaum gehen. Das Unternehmen, das am Flugplatz Oberpfaffenhofen derzeit knapp 1000 Mitarbeiter beschäftigt, will in diesem Jahr 350 Millionen Euro ausgeben. In der Kasse waren zum Jahresende 2023 aber nur 198 Millionen. Volocopter, dem zweiten prominenten eVTOL-Start-up aus Deutschland, haben die hiesigen Steuerzahler dank Verkehrsminister Volker Wissing mit 150 Millionen Euro unter die Arme gegriffen, wobei der Freistaat Bayern die Hälfte zuschießt. Anfang März erhielt Volocopter die luftfahrtrechtliche Zulassung als Produktionsbetrieb, darf also die Serienfertigung seiner Fluggeräte starten.

Zu den Olympischen Spielen in Paris wollte Volocopter ursprünglich im Sommer einen Lufttaxi-Dienst über der französischen Hauptstadt einrichten, mit einem schwimmenden Vertiport auf der Seine. Offiziell sagt das Unternehmen nach wie vor, dass man in Paris fliegen werde, man befindet sich allerdings noch immer mit den zuständigen Pariser Behörden in Gesprächen. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, dann dürften es allenfalls einige Demo-Flüge mit ausgewählten Gästen sein.

Um Lufttaxis mit nur zwei, vier oder gar sechs Sitzen wirtschaftlich zu betreiben, müssten sie ohne Piloten auskommen. Der kostet ja nicht nur viel Geld, sondern nimmt auch einen erheblichen Teil der ohnehin knapp bemessenen Zuladung in Anspruch. Doch diesem Grad der Automatisierung nähert sich bislang nur das chinesische Start-up Ehang. Es erhielt im Oktober vergangenen Jahres die Musterzulassung für das viersitzige Modell EH216-S. Allerdings stammt diese von der chinesischen Aufsichtsbehörde CAAC. Im vergangenen Jahr hat die chinesischen Regierung Luftverkehrsdienste mit eVTOLs und anderen unbemannten Luftfahrzeugen als strategische Priorität bestätigt. Sicherheitsüberlegungen müssen da zurückstehen.

Im vergangenen November absolvierte Volocopter seinen ersten bemannten Testflug in New York City. Bild: Volocopter

In Europa und den USA ist derlei längst noch nicht in Reichweite. Das hat damit zu tun, dass die Kriterien für den sicheren Betrieb von pilotenlosen eVTOLs erst noch festgelegt werden müssen – und auch die Art und Weise, wie ihre Erfüllung nachgewiesen werden kann. Für Verkehrsflugzeuge gilt, dass für alle Systeme, deren Versagen für die Insassen lebensgefährlich wäre, eine Ausfallwahrscheinlichkeit von höchstens eins zu einer Milliarde nachgewiesen werden muss. Für die Software pilotenloser Fluggeräte, die zudem über dicht besiedeltem Gebiet und in dicht beflogenen Lufträumen unterwegs sein werden, liegt die Messlatte entsprechend hoch. In den USA hat der Lufttaxi-Hersteller Archer gerade erst die Zertifizierung des Modells Midnight auf 2025 verschoben. Es
ist für Flüge zwischen 30 und 90 Kilometern mit vier Passagieren optimiert. Typisch für eVTOL ist auch hier das durch die Batterien bedingte ungünstige Verhältnis zwischen Abfluggewicht und Zuladung von eins zu sieben: Bei 3,2 Tonnen Abfluggewicht beträgt die Nutzlast nach den vorläufigen Daten gerade einmal 455 Kilogramm. Zum Vergleich: Ein Hubschrauber vom Typ Airbus H125 bietet fünf Passagieren Platz und kann bei einem Abfluggewicht von 2,25 Tonnen knapp 1,1 Tonnen zuladen.

Die S4 von Joby Aviation ist nicht ganz so klotzig. Bei 2,4 Tonnen Abfluggewicht kann das eVTOL 450 Kilogramm zuladen. Joby rechnet mit einer Musterzulassung und ersten kommerziellen Flügen im kommenden Jahr. 2026 soll dann der Routinebetrieb in Dubai starten. Rivale Archer will schneller sein. Im März verkündete das Unternehmen, sein „Flying Car“ werde bereits 2025 in Abu Dhabi abheben.