Heute jähren sich die Terror-Anschläge des 11. Septembers zum 23. Mal. Mike McCormick war als FAA-Mitarbeiter damals für den New Yorker Luftraum verantwortlich und musste in der Katastrophe einen kühlen Kopf bewahren. Doch wie agiert man im Katastrophenfall?

Die einen waren gerade auf Klassenfahrt, andere standen mit einem Pfund Hackfleisch in der Hand an der Supermarktkasse, Dritte wiederum saßen am Schreibtisch und verschütteten ihren Morgenkaffee: Kaum eine Katastrophe ist weltweit noch so präsent in den Köpfen der Menschen wie die Terror-Anschläge des 11. Septembers 2001 in New York. Wer weiß heute nicht, was er gerade tat, als er von dem Inferno erfuhr?

Islamistische Selbstmordattentäter hatten gleich vier US-amerikanische Passagiermaschinen gekapert. Zwei Boeing 767 wurden in die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York gesteuert, das daraufhin einstürzte. Eine Boeing 757 flog ins Pentagon in Arlinton nahe der Hauptstadt Washington. In einer Boeing versuchten die Fluggäste noch, die Entführer zu überwältigen. Doch die 757 der United Airlines stürzte dennoch auf ein Feld in Pennsylvania. Annähernd 3000 Menschen starben, mehr als 6000 Verletzte wurden gezählt.


Für Mike McCormick ist der Tag besonders präsent, denn an diesem Dienstag erlebte er die erschütterndsten Stunden seines Lebens. Zu jenem Zeitpunkt arbeitete der heutige Professor für Luftverkehrsmanagement an der Embry-Riddle Aeronautical University für die US-amerikanische Luftfahrtbehörde Federal Aviation Administration (FAA), leitet ein Team von 500 Beschäftigten und verantwortet den Luftraum im Zentrum von New York.

9/11: Wann kam die erste Meldung?

Um 8:42 Uhr erhält McCormick eine Meldung auf sein Blackberry-Handy, die er noch 23 Jahre später auswendig aufsagen kann: „Mögliche Entführung. American 11. Flugfläche 310. Albany, Richtung Süden.“ Und sein erster Gedanke soll sich schnell bestätigen: „Die Boeing 767 wird in den Luftraum des New Yorker Zentrums eindringen.“

Schon klingelt sein Telefon: Mitarbeiter der American Airlines hatten Kontakt zu einer Flugbegleiterin an Bord des mit 81 Passagieren und elf Besatzungsmitgliedern besetzten Flugzeugs und informieren nun auch die FAA: Die Entführer seien mit Bomben und Messer bewaffnet. Ein Flugbegleiter war bereits tot.

McCormick alarmiert einen Vorgesetzten und fordert militärische Abfangjäger. Außerdem hält er Rücksprache mit der New Yorker Anflugkontrolle und dem Newarker Tower. Die Lotsen verfolgen am Bildschirm die entführte Maschine auf ihrem Flug entlang des Hudson Rivers. Und sie berichten McCormick in Echtzeit. Er kann es um 8:46 Uhr also nur hören: „Es hat gerade den Nordturm getroffen.“

„Wir werden angegriffen“

McCormick bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Denn ein Kollege meldet, dass ein zweites Flugzeug entführt worden sei: „Wir haben noch einen.“ United-Airlines-Flug 175, ebenfalls eine Boeing 767, ebenfalls gestartet in Boston mit dem Ziel Los Angeles. 65 Menschen sind an Bord. Die Flugsicherung kann dessen Geschwindigkeit und Höhe verfolgen, aber keine Funkverbindung herstellen.

Doch für McCormick steht in dieser Sekunde fest: „Wir werden angegriffen.“ Und er ist sich seiner Position in dieser Ausnahmesituation bewusst. Niemand außerhalb seines Büros weiß, dass ein zweites Flugzeug im Anflug ist, geschweige denn, dass bereits dessen Route nach Manhattan verfolgt wird. „Ich glaube, ich war der erste Mensch auf der Welt, der sagte: ‚Wir werden angegriffen.’“ Und er schwört sein Team ein: „Seid auf alles vorbereitet.“

9/11: Wer übernimmt welche Aufgaben?

Er beginnt, seinen Mitarbeitern Rollen zuzuweisen: „Du schließt die Einrichtung ab. Du begleitest die Besucher aus dem Gebäude. Du suchst nach vermissten Mitarbeitern.“

Um 9.03 Uhr dann die grausame Gewissheit: Die Boeing 767 der United Airlines schlägt in den Südturm ein.

McCormick hatte zuvor sieben Mal in 13 Minuten in der FAA-Zentrale angerufen, um die Sperrung des gesamten US-amerikanischen Luftraums zu fordern. Erfolglos angesichts der sich überschlagenden Ereignisse. Es kann kein Prozedere abgearbeitet werden, 9/11 ist beispiellos.

McCormick erklärt nur eine Minute nach dem zweiten Einschlag den Luftraum über dem New Yorker Zentrum, der von Philadelphia bis Boston reicht, schließlich selbst zum „ATC Zero“ – eine Bezeichnung, die normalerweise für Stromausfälle und andere technische Probleme reserviert ist. Die Terroristen „setzen Flugzeuge als Waffen ein“, erklärt er zur Begründung. „Der einzige Weg, wie ich das verhindern konnte, war, die Waffen zu entfernen.“

Was bedeutet eine Luftraumsperrung?

Den New Yorker Luftraum zu sperren, bedeutet nicht weniger, als den kommerziellen Verkehr im Nordosten der USA und über dem Nordatlantik auf Null herunterzufahren. Die Folgen sind enorm: Hunderte Flugzeuge mit Ziel New York werden zum Umdrehen aufgefordert, bereits kurz vor dem Ziel befindliche Langstreckenmaschinen aus Europa nach Kanada umgeleitet.

Etwa eine halbe Stunde später ist schließlich der gesamte US-amerikanische Luftraum geschlossen, aber der Spuk ist noch nicht vorbei. McCormick schaltet sich in eine Telefonkonferenz mit der FAA-Leitung ein, und gemeinsam beobachten sie den in Washington-Dulles gestarteten American-Airlines-Flug 77, eine mit 58 Passagieren und sechs Crew-Mitgliedern besetzte Boeing 757: „Zehn Meilen bis zum Weißen Haus … neun Meilen bis zum Weißen Haus … acht Meilen bis zum Weißen Haus“, zählt eine Stimme am Telefon herunter.

McCormick weiß, dass der Sitz des US-amerikanischen Präsidenten aufgrund seiner Größe und des schwierigen Anflugwinkels ein unwahrscheinliches Ziel ist. Aber soviel steht fest: Katastrophale Auswirkungen auf die Hauptstadt der USA stehen unmittelbar bevor. Um 9:37 Uhr stürzt das Flugzeug in das Pentagon.

Um 10:02 Uhr stürzt United-Flug 93, eine Boeing 757 mit 44 Personen an Bord auf dem Weg von Newark nach San Francisco, auf ein offenes Feld in Pennsylvania, ausgelöst durch eine Passagierrevolte. Jetzt ist der Himmel über den USA leer von den rund 2900 Flugzeugen, die noch kurz zuvor in der Luft waren. Es ist vorbei. Doch McCormicks Erleichterung ist nur von kurzer Dauer, denn die Frage bleibt: „Was machen wir morgen?“

Wie viele Menschen starben an 9/11?

In dieser dunkelsten Stunde erleben die Vereinigten Staaten den tödlichsten Terroranschlag ihrer Geschichte. 9/11 fordert fast 3000 Menschenleben und mehr als 6000 Verletzte. Und diese 60 Minuten verändern die Identität des Landes auf eine Art und Weise, mit der es noch heute zu kämpfen hat.

Aber McCormick denkt während der Ereignisse noch nicht an all das. Er funktioniert. Und er fühlt Wut. „Wut darüber, dass die Terroristen etwas, das ich liebe – die Luftfahrt – benutzen, um unser Land anzugreifen.“

In den folgenden zehn Tagen schläft McCormick in seinem Büro, sichert gemeinsam mit seinem Team alle Luftverkehrsdaten von 9/11, um die Ermittlungen vorzubereiten. „Als ich am 21. September in die Stadt zurückkehrte, war ich zutiefst erschüttert“, berichtet er. „Zehntausende von Plakaten mit der Aufschrift ,Haben Sie diese Person gesehen?‘ Der Anblick eines Trümmerhaufens, der höher war als die umliegenden Gebäude. Überall in Manhattan wehten amerikanische Flaggen.“ Aber er empfindet an diesem Tag auch Stolz, selbst als ihm der Staub von so viel Zerstörung in die Augen sticht. Stolz ist er auf die Widerstandskraft der US-Amerikaner.

Was macht Mike McCormick heute?

McCormick entwirft in der Folgezeit neue Überprüfungsverfahren für Piloten, Kabinenbesatzungen und Flughäfen. Er entwickelt Richtlinien für kommerzielle Flugzeuge, die im selben Luftraum operieren dürfen wie das Militär, das nach den Anschlägen noch monatelang rund um die Uhr Patrouillen über allen Ballungsräumen des Landes durchführt. Außerdem plant er verantwortlich die Verlegung der US-Luftwaffe nach Afghanistan, noch bevor Gegenangriffe angeordnet werden.

In den folgenden drei Jahren wird er dreimal im Irak im Einsatz sein, um zivile Fluglotsen auszubilden. „Es gibt keine Provinz im Irak, in der ich nicht gewesen bin“, sagt er. Heute, als Professor bei Embry-Riddle, bereitet er die nächste Generation darauf vor, die Luftfahrtindustrie in eine sicherere Zukunft zu führen. „Dies ist ein aufregendes Berufsfeld, in dem man jeden Tag etwas bewirken kann“, sagte er. „Man muss nur auf einen beliebigen Flughafen in Amerika gehen und sehen, wie die Menschen nach Hause kommen und ihre Familien umarmen. Das ist der Grund, warum wir es tun.“