Das Pilotenportrait von Merryl Tengesdal ist ein spannendes Beispiel dafür, dass einen Beharrlichkeit und Durchsetzungswille an das Ziel seiner Träume bringt.

Keine Sorge, AERO INTERNATIONAL ist und bleibt das Magazin für Zivilluftfahrt. Und bei der nachfolgenden Geschichte über die Pilotin Merryl Tengesdal steht nicht das Militär, sondern ihre ganz besondere Persönlichkeit im Fokus.

Merryl Tengesdal wurde 1971 in der New Yorker Bronx geboren. Damals keine erste Adresse für junge Frauen, die den Traum haben als Pilotin den Himmel zu erobern.

Merryl Tengasdal: Schwieriges Umfeld in der Bronx

Drogen und Alkohol hätten sie leicht vom richtigen Weg abbringen können, erinnert sie sich. Aber vor allem ihre Mutter und Lehrer sorgten dafür, dass sie sich für Naturwissenschaften begann zu interessieren – und eine Zukunft zu planen.  Inspiriert durch die TV-Serie „Star Trek“ war es eigentlich der Wunsch der jungen Merryl, als NASA-Astronautin den Sternen noch ein Stück näher zu sein.

Zumindest in ihrer „Dienstuniform“ kam Merryl Tengesdal ihrem Traum, eine Astronautin der NASA zu werden, sehr nahe. Foto: Cliff Lipson/CBS ©2020 CBS Broadcasting, Inc. All Rights Reserved.

Tengesdal: „Seit ich sieben Jahre alt war, wollte ich Astronautin werden. Ich habe als Kind viel „Star Trek“ gesehen. Meiner Meinung nach ging es in der Serie darum, wagemutig Grenzen zu übertreten und dorthin zu gehen, wo noch niemand zuvor war. Zudem hat mich an der Serie fasziniert, dass es dort Menschen verschiedener Ethnien und mit bestimmten Fähigkeiten gab. Sie nutzten ihren Hintergrund und ihre Fähigkeiten als Gruppe, um herauszufinden, wie man verschiedene Probleme lösen kann.“

Inspiration durch TV-Serie „Star Trek“

Die junge Merryl Tengasdal dürfte damals kaum geahnt haben, dass ihre Flugkarriere genau jene Fähigkeiten fordern und fördern sollte – und sie ihrem eigentlich Traum so nah wie sonst kaum eine andere Pilotin kommen sollte.

 

Merryl Tengesdal in ihrem Druckanzug, den sie während ihrer U-2-Missionen in der nicht druckbelüfteten Pilotenkanzel tragen musste. Foto: Cliff Lipson/CBS ©2020 CBS Broadcasting, Inc.

Die einzige Chance beruflich zu fliegen und eine Ausbildung finanziert zu bekommen, bot ihr das US-Militär. Nachdem die NASA-Laufbahn unerreichbar schien, wandte sie sich daher an die U.S. Navy – und wechselte später zur U.S. Air Force (USAF).

Merryls militärische Laufbahn begann bei der Marine, wo sie nach ihrem Abschluss an der Offiziersanwärterschule im Jahr 1994 Offizierin wurde. Die US-Navy suchte in den 90er-Jahren, lange bevor Diversität, Chancengleichheit und Inklusion zum Standardvokabular der Personalbüros zählten, nach ethnischen Minderheiten für ihr Piloten-Ausbildungsprogramm.

Tengesdal verfügte nicht nur über die Mindestvoraussetzungen, sondern konnte sogar einen Studienabschluss in Elektrotechnik vorweisen. Merryl erzählt mit einem Schmunzeln: „Ich habe alles bestanden, was verlangt wurde. Also wurde ich in das Piloten-Ausbildungprogramm aufgenommen.“

Sie zeichnete sich als Marinefliegerin aus, flog den SH-60B Seahawk-Hubschrauber und diente an verschiedenen Orten der Welt, darunter im Nahen Osten, in Südamerika und in der Karibik.

Tengesdal stieß beim Militär zunächst auf Grund ihrer Ethnie und ihres Geschlechts auf‘ einigen Widerstand, wie damals die meisten US-amerikanischen Minderheiten. Aber sie setzte sich durch und ist der Meinung, dass ihre Beharrlichkeit, Hautfarbe und ihr Geschlecht am Ende hilfreich waren um Programme zur Chancengleichheit bei den amerikanischen Streitkräften einzuführen – oder bereits existierende Programme mit Leben zu erfüllen.

Ihr Pioniergeist ist nicht nur eine Inspiration für Frauen, die eigenen Träume mit Entschlossenheit zu verfolgen und das Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten.

Flugausbildung für ethnische Minderheiten

Ihr Wechsel zur Luftwaffe war ein Meilenstein ihres Lebens – und ein eben solcher für die US-Luftwaffe. Denn als erste Frau – und einzige Afro-Amerikanerin – flog sie das Spionageflugzeug U-2. Ihr Einsatz auf diesem legendären Höhenaufklärungsflugzeug, das im Militärjargon „Dragon Lady“ genannt wird, begann 2004 mit der Pilotennummer 788. So entstand ihr Spitzname „Dragonlady 788′“, unter dem sie auch bei Instagram zu finden ist. Sie absolvierte 1.000 Flugstunden auf diesem Typ und nahm an wichtigen Aufklärungsmissionen rund um den Globus teil.

Merryl Tengesdal: Den Sternen so nah…

Die U-2-Piloten sind eine sehr seltene Spezies. Seit den späten 1950er-Jahren haben es nur 1116 in das Cockpit dieser legendären Einstrahler geschafft. Und Colonel a.D. Merryl Tengesdal ist eine von acht Pilotinnen, die je in diesem illustren Kreis aufgenommen wurden.

Tengesdal berichtet, dass es ihr bei dem Wunsch die U-2 zu fliegen auch darum ging, ihrem ursprünglichen Traum von einer Reise in den Weltraum so nah wie möglich zu kommen. Mit rund 22.000 Meter- doppelt so hoch wie ein Passagierjet und höher als jedes andere konventionelle Flugzeug fliegend –  ist dies Merryl Tengesdal gelungen. Aber wenn sich eine Gelegenheit bei einem der kommerziellen Unternehmen, SpaceX oder Virgin Galactic, ergäbe, würde sie diese ergreifen, versichert die bemerkenswerte Pilotin.

„Du musst den Drachen bekämpfen, um mit der Lady zu tanzen“

Zitat von Merryl Tengesdal über die U-2 „Dragonlady“

Die U-2 ist eines der am schwersten zu beherrschenden Flugzeuge. In großen Höhen ist sie nahe an ihren aerodynamischen Grenzen. Und während der Landung führt der Helm des Druckanzugs zu einem sehr eingeschränkten Gesichtsfeld. Quasi im Blindflug muss der Pilot oder die Pilotin die U-2 auf dem unter dem Rumpf, hinter einander montierten Tandemfahrwerk aufsetzen. Damit dieses heikle Manöver gelingt, verfolgt ein Fahrzeug die U-2 während des Ausschwebens auf der Runway –  und der dort mitfahrende Pilot gibt an das Cockpit aus seiner Perspektive entsprechende Anweisungen.

U-2-Poesie

Merryl Tengesdal findet über die Lockheed U-2 diese poetischen Worte:

„Ein U-2-Pilot zu werden, ist wie der Aufstieg in eine geheime Gilde von Himmelsforschern. Ein U-2-Pilot muss nicht nur die Flugmechanik beherrschen, sondern auch mit einer Maschine harmonieren, die am Rande des Weltraums tanzt. Ein U-2-Pilot zu werden, bedeutet, sich einer Symphonie von Herausforderungen zu stellen, bei der jede Note eine Prüfung des eigenen Könnens darstellt. Es ist ein Tanz mit der Stratosphäre, der die Finesse eines Balletttänzers und die Ausdauer eines Marathonläufers erfordert.

U-2-Piloten atmen die Luft der Entschlossenheit, verfeinern Nerven aus Stahl und kultivieren einen unnachgiebigen Geist, um die Grenzen dort zu verschieben, wo die Atmosphäre dünner wird und der Horizont sich biegt. Piloten müssen sich auf dem schmalen Grat zwischen Kühnheit und Vorsicht bewegen und ihr Gleichgewicht inmitten der unendlichen Weite der Einsamkeit ständig neu ausbalancieren. In diesem Reich ist die Schwerkraft nicht nur eine Kraft, sondern eine Herausforderung. Es geht nicht nur um das Fliegen, sondern um das Überschreiten der Grenzen, um das Berühren des Unbekannten.

Mit einem Flugzeug, das zu gleichen Teilen Rätsel und Wunder ist, erfordert die Reise nicht nur technisches Können, sondern auch die angeborene Fähigkeit, zuzuhören, sich anzupassen und mit dem leisen Flüstern des Himmels zu sprechen. Für diejenigen, die sich die begehrten Flügel verdienen, ist es nicht nur ein Job oder Titel, sondern ein lebenslanger Pakt mit dem Himmel, eine Ode an den unsterblichen menschlichen Geist, das Unbekannte zu erforschen und zu erobern

Nur diejenigen, die über die seltene Mischung aus Geschicklichkeit, Hartnäckigkeit und Weitblick verfügen, können den Titel eines U-2-Piloten tragen.“

Merryl Tengesdal: Spannendes Leben nach dem Militär

 

Merry Tengesdal ist nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst eine gefragte Motivationsrednerin in den USA sowie Buchautorin. Foto: privat

Zusätzlich zu ihrer fliegerischen Laufbahn hatte Merryl wichtige Führungspositionen im Militär inne, etwa als Leiterin der Flugsicherheit des 9. Aufklärungsgeschwaders, als Einsatzleiterin der 9. physiologischen Unterstützungsstaffel und als Kommandantin des Warner Robins Air Logistics Center, Detachment 2 in Palmdale, Kalifornien. Bevor sie 2017 in den Ruhestand ging, war sie zuletzt Direktorin für Inspektionen im Pentagon, wo sie das USAF-Programm für nukleare Sicherheitsinspektionen (NSI) leitete.

Die zweifache Mutter schied 2017 als Full Bird Colonel aus der USAF aus und hält seitdem Motivationsreden und bietet Personal Trainings an. Ihr kürzlich erschienenes Buch „Shatter The Sky“, das wichtige Stationen ihres Lebens beschreibt, ist auf Amazon erhältlich. Tengesdal trat auch in der Fernseh-Reality-Serie „Tough As Nails“ beim US-Fernsehsender CBS auf.

„Nur diejenigen, die über die seltene Mischung aus Geschicklichkeit, Hartnäckigkeit und Weitblick verfügen, können den Titel eines U-2-Piloten tragen.“

Merry Tengesdal