Autonomes Fliegen: Ohne Pilot in die Luft?
Flugzeughersteller, Behörden und Pilotenverbände diskutieren, wie weit das theoretisch technisch Machbare beim Autonomen Fliegen in der Verkehrsluftfahrt umgesetzt werden darf und soll.
Wie sieht die Cockpitbesatzung der Zukunft aus? Einem Scherz zufolge, der derzeit in Fachkreisen die Runde macht, sitzen da ein Pilot und ein Hund. Wenn der Pilot etwas anfasst, dann beißt ihn der Hund, denn das Fliegen erledigt die Automatik. Der ernste Hintergrund ist die Diskussion um die Frage, ob es nicht möglich ist, in Zukunft mit weniger Piloten als heute auszukommen, weil intelligente Assistenzsysteme sie auch in kritischen Situationen unterstützen. Wie kann also Autonomes Fliegen in der Zukunft aussehen?
In der Allgemeinen Luftfahrt gibt es so etwas schon: Emergency Autoland ist Teil aktueller Glascockpits von Garmin, die in Turboprops und Businessjets eingesetzt wird. Fällt deren Pilot im Ein-Personen-Cockpit aus, kann die Avionik das Flugzeug auf Knopfdruck der Passagiere oder bei festgestellter Inaktivität des Piloten sogar vollautomatisch das Flugzeug unter Beachtung von Lufträumen, Gelände und Wetter auf dem nächsten geeigneten Flughafen landen.
Autonomes Fliegen: Was steckt hinter dem Projekt Dragonfly?
Genau diese Fähigkeiten testet Airbus im Rahmen des Projekts Dragonfly an einer umgerüsteten A350-1000. Den Namen hat es nicht von ungefähr. Die Libelle, englisch Dragonfly, hat die einzigartige Fähigkeit, volle 360 Grad sehen zu können. Durch zusätzliche Sensoren verfügt auch die Avionik der Test-A350 über die Fähigkeit, das gesamte Umfeld des Flugzeugs wahrzunehmen und diese Informationen in die Entscheidungen der Automatik einfließen zu lassen.
Laut Airbus dient diese Technologie dazu, die Sicherheit durch einen weiteren Schutzschirm zu verbessern. Beim Ausfall der Besatzung könnte das Flugzeug sicher zu Boden gebracht werden. Der Unfall von Helios Airways HCY 522 mit 121 Toten im Jahr 2005 zeigt, dass dies zwar selten ist, aber dennoch vorkommt. Die Boeing 737 stürzte in der Nähe von Athen ab, nachdem Pilot und Copilot im Cockpit zusammengebrochen waren und das Flugzeug über hunderte Kilometer nur vom Autopiloten gesteuert wurde.
Sehen wie eine Libelle
Bei der Vorstellung des Frachters A350F im Oktober 2021 in Dubai hob Airbus-Chef Gillaume Faury hervor, dass der Frachter das erste Flugzeug sein werde, das für den Betrieb mit nur einem Piloten im Reiseflug zugelassen ist. Bei Start und Landung müssen aber wieder zwei Piloten im Cockpit sein. Während der eine Pilot im Crew Rest Compartment sein Nickerchen macht, wäre sein Kollege allein im Cockpit. Dieses Konzept heißt Extended Minimum Crew Operations (eMCO). Der logische nächste Schritt hat den Namen SiPO, Single Pilot Operations. Beides wurde 2021 und 2022 von der europäischen Luftfahrtagentur EASA untersucht. Sie stellte fest, dass die Bedingungen in einem Szenario mit reduzierter Besatzung nur schwer mit den derzeitigen Arbeitsbedingungen auf Langstreckenflügen zu vergleichen seien.
In einem Statement heißt es: „Die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Langstreckenbetrieb und seine Auswirkungen auf Ermüdung und Wachsamkeit lassen sich nicht auf den Betrieb mit reduzierter Besatzung übertragen. Diese sollten zunächst weiter untersucht werden.“ Auch die Pilotenverbände verweisen auf die große Zahl von Fragen, die geklärt werden müssen, um die Einführung von eMCO ernsthaft diskutieren zu können. Aber: Bei rund 80 Prozent aller Unfälle hat der Mensch irgendwo in der Kausalkette die Hand im Spiel. Kein Wunder, dass er als die große Schwachstelle im System angesehen wird.
Zahl der Besatzungsmitglieder sollte nicht verringert werden
Die NASA plädiert in einem Dokument aus dem Jahr 2019 für einen Perspektivwechsel. Während Fehlleistungen durch Unfälle und Zwischenfälle sichtbar werden, bleiben die Fälle, in denen die Besatzung durch ihr Eingreifen und die richtigen Entscheidungen die Situation gerettet hat, unentdeckt. Nach einer überschlägigen Schätzung der Autoren kommen auf jeden Fall menschlichen Versagens im Cockpit vier Fälle, in denen die Besatzung einen Unfall verhindert hat.
Eine starke Verbündete haben die Pilotenverbände in Jennifer Homendy, Chefin der US-amerikanischen Unfalluntersuchungsbehörde NTSB. Sie spricht sich deutlich dagegen aus, die Zahl der Besatzungsmitglieder zu verringern: „Technologie sollte die Sicherheit ergänzen, nicht das Fachwissen und das Urteilsvermögen ersetzen“, lautet ihre eindringliche Forderung.
Text: Heinrich Großbongardt