„Sofort zugesagt“: Obdachlose pilgern im Flugzeug nach Rom
Hamburg, 06. November 2016 Papst Franziskus wünscht sich eine Kirche für die Armen. Er hat Tausende Obdachlose nach Rom eingeladen. Aber wie reisen, wenn man weder Geld, Wohnsitz noch Papiere hat? Klaus-Dieter lebt vom Flaschensammeln, sein Zuhause ist ein Zelt in einem Hamburger Park. In wenigen Tagen wird der 51-Jährige in ein Flugzeug steigen und […]
Hamburg, 06. November 2016
Papst Franziskus wünscht sich eine Kirche für die Armen. Er hat Tausende Obdachlose nach Rom eingeladen. Aber wie reisen, wenn man weder Geld, Wohnsitz noch Papiere hat?
Klaus-Dieter lebt vom Flaschensammeln, sein Zuhause ist ein Zelt in einem Hamburger Park. In wenigen Tagen wird der 51-Jährige in ein Flugzeug steigen und nach Rom fliegen. Zum Abschluss des Jahres der Barmherzigkeit hat Papst Franziskus rund 6000 Obdachlose und arme Menschen aus aller Welt zu einer Audienz und einer Messe im Petersdom eingeladen. Rund 600 Teilnehmer kommen aus Deutschland, darunter 200 aus München, 150 aus dem Erzbistum Köln und gut 100 aus Hamburg.
„Ich habe sofort zugesagt“, sagt Klaus-Dieter mit seiner rauen Stimme. „Vielleicht kommt man da nie wieder hin.“ Der gelernte Goldschmied war sogar schon einmal in Rom – und hat damals auch einen ganz besonderen Moment erlebt: Den Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Argentinien im WM-Finale von 1990. „Andi Brehme hat das goldene Tor geschossen“, erzählt er. Damals hatte der gebürtige Magdeburger noch sein eigenes Geschäft und die Reise in einem Reisebüro gebucht und bezahlt. Er fuhr mit dem Zug.
Jetzt geht es per Linienflug nach Rom. Eine solche Flugreise stelle Obdachlose vor enorme Herausforderungen, erklärt Jesuitenpater Jan Roser, der die Gesamtleitung der Hamburger Gruppe hat. „Das sind sehr verletzte Menschen, die so etwas noch nie erlebt haben.“ Einige Teilnehmer seien wieder abgesprungen, weil sie im letzten Moment Panik bekommen hätten, andere hätten wieder ausgeladen werden müssen, weil sie ihre Aggressionen nicht hätten kontrollieren können.
Roser, der in Hamburg auch die katholische Akademie leitet, weiß, dass sich die Gruppendynamik nicht vorhersehen lässt. „Es wird abenteuerlich“, sagt er. Soweit möglich, ist aber vorgesorgt. Zum Begleitteam gehören zwei Ärzte und zwei Pflegerinnen mit Erfahrungen in „Straßenmedizin“. Außerdem sind Ordensschwestern und weitere Helfer vom Diakonischen Werk und den Maltesern dabei. Die meisten Obdachlosen sind Männer, an der Wallfahrt nehmen aber auch 16 Frauen aus prekären Lebensverhältnissen teil. Vor dem Abflug am Donnerstag (10. November) will Erzbischof Stefan Heße den 66 Bedürftigen und 37 Begleitern seinen Reisesegen spenden.
Der katholische oder christliche Glaube ist keine Bedingung für die Teilnahme an der Unternehmung „Fratello“. Es werde nur erwartet, dass die Pilger offen für das Programm der Wallfahrt seien. Klaus-Dieter ist evangelisch, er geht ab und zu in die Kirche. Seine Lebenskrise hatte mit einer schweren Krebserkrankung begonnen. „Ich war anderthalb Jahre im Krankenhaus“, sagt er. In der Zeit habe sein Partner das Goldschmiedegeschäft in den Sand gesetzt. Inzwischen gehe es ihm wieder besser. „Der Glaube hat mir geholfen.“. Von staatlicher Unterstützung will Klaus-Dieter aber nichts wissen. Seine Unabhängigkeit im eigenen Zelt ist ihm wichtig.
Für die Reise musste er sich zunächst einen Personalausweis ausstellen lassen, was ihm ohne Angabe eines festen Wohnsitzes gelang, wie er sagt. Seine Reisekosten und die der Gruppe – nach Angaben von Roser ein Betrag im oberen fünfstelligen Bereich – werden ausschließlich aus Spenden aufgebracht. In Rom wird Klaus-Dieter wie die übrigen Teilnehmer drei Nächte in einem großen Pilgerhotel schlafen, in einem Zweibettzimmer.
Er und sein Zimmergenosse gehören zu einer kleinen Gruppe von neun Obdachlosen, die von Holger Triebel betreut werden. Der 64-Jährige leitet die Hilfseinrichtung „Alimaus“ des katholischen Vereins St. Ansgar unweit der Reeperbahn. Triebel ist sich sicher, dass die Rom-Reise alle Teilnehmer verändern wird. Wie bei jeder Wallfahrt gehe es um die Überwindung der Einsamkeit, sagt der evangelische Christ. «Das Wir-Gefühl wird sich entwickeln.»
Klaus-Dieter hofft, einem großen Ziel etwas näher zu kommen. „Ich will in die Selbstständigkeit zurückkehren. Ich werde das schaffen“, sagt er. Aber er weiß auch, dass er nach seiner Rückkehr am Sonntagabend wieder in seinem Zelt schlafen wird. „Ich habe einen guten Schlafsack, der Kälte bis minus 25 Grad abhält.“
Bernhard Sprengel, dpa