Bruchlandung in Nepal: Dash 8 fängt nach Landung Feuer – 51 Menschen sterben
Auch Piloten sind nur Menschen – befinden sie sich in einer mentalen Ausnahmesituation, sollten sie als „nicht flugtauglich“ gelten. Der Absturz einer Dash 8 vor vier Jahren zeigt, was passieren kann, wenn jemand im Cockpit sitzt, der eher auf die Couch eines Therapeuten gehört.
AERO INTERNATIONAL berichtet im Magazin in unregelmäßigen Abständen über Flugzeugabstürze. Die Rubrik heißt Mayday. Hier werden Flugzeugabstürze analysiert und deren Ablauf ausführlich geschildert. Dieses Mal geht es um den Flug BS211 am 12. März 2018 in Kathmandu, Nepal.
Die US-Bangla-Gruppe war ein regelrechter Gemischtwarenladen. 2009 als Joint-Venture privater Investoren aus den USA und Bangladesch gegründet, machte man die länderverbindende Kapitalherkunft zum Firmennamen. Schnell fasste man im Markt von Bangladesch Fuß und expandierte. 2013 entschied die Firmenleitung, dass man mit Immobilien, Möbeln, Lederwaren und einer eigenen Pharma-Sparte noch nicht breit genug aufgestellt sei. So wurde 2013 mit der US-Bangla Airlines eine eigene Fluggesellschaft gegründet, die 2014 den Betrieb mit zwei Bombardier DHC 8-400 – kurz meist Dash 8 genannt – aufnahm.
2015 kam es dann zum ersten Zwischenfall. Eine der Dash 8, die S2-AGU, rollte beim Wenden in Saidpur ein Stück von der Bahn. Niemand kam zu Schaden, die Maschine konnte noch am selben Tag weiterfliegen. Das Routennetz und die Flotte wuchsen.
Flugzeugabsturz in Nepal am 12. März 2018: Pilot litt an mentalen Problemen
Zusätzlich zu Flügen innerhalb Bangladeschs bekam US-Bangla auch die Genehmigung, ins Ausland fliegen zu dürfen. Als erste der neuen Routen wurde im Mai 2016 der Hauptstadtflughafen Dhaka mit Kathmandu, der Hauptstadt des Himalayastaats Nepal, dreimal wöchentlich verbunden. Die etwa 670 Kilometer lange Route war meist recht gut belegt und die Auslastung vielversprechend. Der Werbeslogan der Airline lautete „Fly Fast Fly Safe“ – bis der Tag kam, der alles veränderte.
Es war der 12. März 2018, als Kapitän Abid Sultan am Vormittag den Crewraum in Dhaka betrat. Der 52-jährige Pilot hatte innerlich bereits mit seiner Airline abgeschlossen. Er litt seit Jahren an mentalen Problemen. Depressionen und Erschöpfungszustände suchten ihn immer wieder heim.
Pilot hatte bereits die Kündigung eingereicht
Seine Kündigung hatte er am Vortag eingereicht, vertraglich musste er jedoch noch für die nächsten drei Monate im Dienst sein. Sultans weitere Zukunft war ungewiss. Er war seit drei Jahrzehnten Pilot. Von der Luftwaffe kommen war er 2015 bei US-Bangla eingestiegen. Mit 5500 Flugstunden gehörte er zu den Erfahrenen in der Airline, er war Lehrer sowie Trainingskapitän für die Dash 8 und bereits über 100 Mal in Kathmandu gewesen.
Sultan sollte als Kapitän für die sichere Durchführung des Flugs BS 211 zum Dach der Welt verantwortlich sein. Der Gegensatz im Cockpit hätte kaum größer sein können. Der Dienstplan wollte es, dass die 25-jährige Prithula Rashid seine Copilotin war. Rashid war die erste Pilotin, die für die noch junge Airline flog. Sie fiel 2016 in eine teilweise noch sehr testosterongeprägte Männerdomäne ein, biss sich durch, bestand ihre Prüfungen und sammelte Flugerfahrung. Die war mit nur 390 Stunden weit von der ihres Sitznachbarn entfernt. Sie freute sich, auf Flug 211 eingeteilt worden zu sein, da sie noch nie in Kathmandu gewesen war.
Pilot wirkt während des Flugs psychisch schwer angeschlagen
Zusammen mit zwei Mitgliedern der Kabinenbesatzung und 67 Fluggästen hob Flug BS 211 um 12.52 Uhr Ortszeit in Dhaka ab. Ihre Maschine war die zuvor erwähnte S2-AGU, eine 2001 bei Bombardier in Toronto gebaute DHC-8-400, die bereits eine Anzahl Vorbesitzer wie SAS, Royal Jordanian Airlines und zuletzt Augsburg Airways erlebt hatte.
Während Flug 211 den Luftraum von Bangladesch in Richtung Nordwesten verließ, brach Sultan völlig unnötig ein Streitgespräch mit der Betriebszentrale über Treibstoffmengen vom Zaun. Er schimpfte und fluchte in sexistischen Herabwürdigungen wegen einer angeblichen schlechten Beurteilung durch eine Ex-Kollegin, weinte an einer Stelle sogar und wirkte insgesamt psychisch schwer angeschlagen. Die ehemalige Kollegin hatte seine Leistungen als Trainingspilot als unterdurchschnittlich bewertet.
Tribhuvan International Airport liegt in einer bergigen Umgebung
Der Tribhuvan International Airport von Katmandu liegt auf 1330 Metern über dem Meeresspiegel in den Ausläufern des Himalayas und ist Nepals einziger internationaler Zubringer für Passagiere und Fracht. Seine Umgebung ist bereits so bergig, dass fast alle Anflüge nur von Süden auf der Piste 02 durchgeführt werden, die auch in Betrieb war, als die Dash 8 ihren Sinkflug auf ihren Zielflugplatz begann
Der Himmel am Flughafen war nahezu bedeckt, die Sichtweite betrug sechs Kilometer. Entgegen sämtlicher Dienstvorschriften hatte sich Sultan in dieser Flugphase eine Zigarette angesteckt und paffte sie ohne weitere Kommentierungen durch die Copilotin.
Um 14.16 Uhr erfolgte die weitere Sinkflugfreigabe
Flug 211 wurde für den Sinkflug auf 13 500 Fuß freigegeben und gleichzeitig angewiesen, über dem Wegpunkt GURAS, etwa 31 Kilometer südlich der Landebahn, in ein Warteverfahren (Holding) zu gehen. Sultan war seine brennende Zigarette zu Boden gefallen. Er schnallte sich ab, um sie auszudrücken. Insgesamt machte er einen sehr unausgeglichenen und abgeschlagenen Eindruck.
Noch bevor man GURAS erreicht hatte, erfolgte um 14.16 Uhr die weitere Sinkflugfreigabe auf 11 500 Fuss verbunden mit der Freigabe für einen VOR-Anflug auf die Piste 02. Dabei vergaß die Crew die Warteschleifenprogrammierung aus ihrem Flugmanagement-System (FMS) zu löschen. So drehte die Maschine ihrer Programmierung folgend nach links, als sie über dem Fixpunkt angekommen war. Umgehend bemerkte die Crew ihren Fehler und korrigierte ihn.
Piloten reagieren nicht. Flugzeug driftet rechts des Anflugweges ab
Trotzdem lag die auf Kurs 022 ausgerichtete korrekte Anfluglinie zum Funkfeuer KTM kurz vor der Landebahn 02 nun etwas rechts von der Dash 8. Mit einem Steuerkurs von 027 Grad versuchte Kapitän Sultan, die korrekte Anfluglinie wieder „einzufangen“. Unterdessen wurden die Landevorbereitungen getroffen und alle an Bord gingen davon aus, binnen Minuten sicher auf dem Boden zu sein.
Bei einer Entfernung von sieben Meilen kreuzte Flug 211 die Anfluglinie erneut, doch die Piloten versäumten es, ihr mit einem kleinen Linksschwenk in Richtung KTM zu folgen – und flogen weiter geradeaus. Das Flugzeug driftete nun rechts des Anflugwegs ab, während der Fluglotse die Aufforderung gab, mit dem Kontrollturm am Tribhuvan Airport Kontakt aufzunehmen.
Beide Piloten hatten die Orientierung verloren
Ohne weiter auf die Kursabweichung einzugehen, gab die Frau im Tower US-Bangla Flug 211 zur Landung auf der Piste 02 frei. Doch beide Piloten hatten bereits jetzt die Orientierung verloren. Sultan dachte immer noch, man befinde sich kurz vor Erreichen der Piste. Doch vor den Piloten lagen nur die Häuser, Straßen und Hügel Kathmandus. Jetzt fiel der Lotsin auf, dass die Maschine am Bahnanfang der „02“ vorbeigeflogen war und den Flugplatz im Osten in geringer Höhe passierte.
Tower: „..211, Tower…Ihnen wurde Landefreigabe für Bahn 02 gegeben.“
Kapitän: „Bestätigt, Madam.“
Jetzt schaltete sich der Supervisor der Lotsin in den Dialog ein und er übernahm von nun an den offenbar orientierungslosen Flieger.
Tower: „Sie fliegen in Richtung Bahn 20“
Kapitän: „Ich glaube, wir gehen Richtung Bahn 02.“
Tower: „BS211, Bahn 20, frei zur Landung.“
Kapitän (im Cockpit): „Können wir die Bahn sehen? Wir haben alles eingestellt, alles fertig, aber wir sehen die Bahn nicht.“
Ein Blick nach links hätte Kapitän Sultan Klarheit verschafft, doch er erwartete, dass jede Sekunde die Landebahn direkt vor ihm auftauchen würde und starrte stur geradeaus. Flug 211 hatte den Flughafen allerdings bereits passiert. Voraus lagen nur Häuser und die aufragenden Berge. Das Bodenannäherungs-Warngerät (EGPWS) schlug Alarm, was den Kapitän nicht sonderlich beeindruckte. Die Stimme der jungen Copilotin war dagegen angsterfüllt, als aus den Lautsprechern unablässig der Befehl „Pull Up!“ (Hochziehen!) ertönte.
Es war 14.29 Uhr. Zu dieser Zeit hätten die Räder das Dash 8 bereits auf dem Boden sein sollen, stattdessen irrte sie über Kathmandu herum. Dem Towerlotsen machte die ungewöhnliche Kursführung ein wenig Sorge und er funkte:
TWR: „Fliegen Sie linken … rechten Gegenanflug Bahn 02. BS211, ich wiederhole, fliegen Sie nicht in Richtung 20. Frei zum Halten Ihrer aktuellen Position.“
Pilot Sultan entschließt sich eine Rechtskurve zu fliegen
Auch ohne genaue Kenntnis seiner Position zu haben, entschloss sich Sultan, eine weite Rechtskurve einzuleiten. Hierbei flog die Maschine so tief über eine aufragende Hügelkette hinweg, dass Menschen am Boden mit ihren Smartphones filmten, weil sie einen Crash fürchteten.
Im Tower dachte man nun, Flug 211 würde parallel zur Landebahn auf Südwestkurs gehen und dann einen Rechtsschwenk in Richtung Landebahn 02 machen. Doch weit gefehlt. Statt nach Süden beendete Sultan die Kurve in einer westlichen Richtung was ihn in den Anflug der Gegenbahn 20 brachte.
TWR: „BS 211, Bahn, äh … frei zur Landung … Bahn ist frei. Entweder Bahn 02 oder 20. Bestätigen, Sie benötigen einen Anflugkurs?“
Kapitän: „Sir, wir würden gerne auf der Bahn 20 landen.“
Ohne eine weitere Kursangabe zu erbitten, wurde BS 211 zur Landung auf der Piste 20 freigegeben. Dabei rätselte man im Cockpit immer noch.
Kapitän: „Wir müssen jetzt die Landebahn finden, nicht wahr? Wir sind jetzt bei vier Meilen (Entfernung). Auf welche Seite sollte die Bahn sein?“
Copilotin: „Zwölf Uhr.“
Fehlende Anweisungen vom Kontrollturm Kathmandu
Völlig desorientiert zog die Maschine nun nördlich am Flughafen vorbei. Wieder schauten die Piloten nicht nach links, wo die Umrisse des Flughafens deutlich erkennbar gewesen wären. Wieder erwarteten sie die Piste dort, wo sie nicht war.
Im Kontrollturm Kathmandu tat man herzlich wenig, der offensichtlich herumirrenden Crew mit klaren Kursangaben in Richtung Airport zu helfen. Spätestens als der Pilot trotz Landefreigabe die Frage verneinte, ob die Bahn in Sicht sei, hätten unterstützende Anweisungen erfolgen müssen.
Im Tower wird die Situation immer hektischer
Der Irrflug von BS 211 war noch nicht beendet. Eine weitere Rechtskurve wurde eingeleitet, in der Hoffnung, endlich die Umrisse des Flughafens auszumachen. Die Kurve flog Sultan jedoch deutlich weiter und ging mit Kurs Südost wieder in einen Geradeausflug über. Sowohl im Cockpit als auch am Boden herrschte totales Rätselraten, was die Linienmaschine aus Bangladesch vorhatte. Es war 14.33 Uhr: Als Sultan gerade dabei war, erneut eine Rechtskurve zu machen, erhaschte er die Umrisse der Landebahn 20 direkt links unterhalb des Cockpits. Aufgrund der Kurvenlage und der noch hohen Position kam eine sofortige Landung nicht in Frage. Doch Sultan wollte auf Biegen und Brechen zur Landebahn kommen. Er drückte die Steuersäule nach vorn und legte die Dash in eine halsbrecherische Linkskurve.
Aus dieser Position noch eine Landung zu versuchen widersprach sämtlichen Standards. US-Bangla 211 überflog den Bahnanfang in einem Winkel von etwa 30 Grad und zielte hinab auf das Flugvorfeld, auf dem Dutzende Maschinen abgefertigt wurden. Im Tower wurde man angesichts dieser riskanten Flugverlaufs panisch. Der Lotse dachte, der Pilot wolle auf dem Vorfeld landen:
TWR: „BS 211, das ist nicht die Landebahn, ich wiederhole, das ist nicht die Landebahn! Startfreigabe widerrufen.“
Kapitän: „Wir haben die Piste in Sicht, sind wir frei zur Landung?“
Lotse im Tower ist aufgeregt und verwechselt Lande- mit Startfreigabe
In der allgemeinen Aufgeregtheit hatte der Lotse sogar die Lande- mit der Startfreigabe verwechselt, als das Brummen der beiden Triebwerke trotz schallisoliertem Glas im Tower hörbar wurde. Für einen Augenblick sah es fast so aus, als würde Sultan den Tower rammen wollen. Doch er schoss knapp vorbei, legte die Dash in eine Rechtskurve und versuchte, noch irgendwie auf die Piste 20 zu kommen.
Seine unerfahrene Copilotin hätte bereits vorher die Kontrolle an sich ziehen müssen, als absehbar war, dass Kapitän Sultan höchst unprofessionell agierte und nicht mehr Herr der Situation war. Doch einem älteren Vorgesetzten, der kurz zuvor noch laut, aggressiv und emotional geworden war, so in die Parade zu fahren, traute sie sich vermutlich nicht.
Rechte Fahrwerk schlägt hart auf den Boden am Pistenrand auf
Flug 211 näherte sich von rechts der Bahn, die mittlerweile bereits zu einem Drittel überflogen war. Die weißen Markierungen der Aufsetzzone lagen schon weit hinter der Maschine. Alles andere als Durchstarten wäre verrückt. Copilotin Rashid entfuhr „Oh mein Gott, Sir…“, als Kapitän Sultan trotzdem mit allen Mitteln versuchen wollte, Flug 211 auf die Piste zu zwingen.
Doch es gelang ihm nicht. Es war 14.34 Uhr, als das rechte Fahrwerk sehr hart auf den Boden am linken Pistenrand schlug. Die Dash 8 befand sich in diesem Augenblick in einem 25-Grad-Winkel zur Bahnachse. Daraufhin verließ die Maschine mit hoher Geschwindigkeit den Seitenstreifen, raste über die Grasnarbe und geriet auf unebenes Gelände. „Sir, Sir“, rief die Copilotin in heller Aufregung.
Keine Sekunde später kollabierte das Fahrwerk und der Rumpf brach auf. Das Flugzeug drehte sich auf den Rücken, als es eine fünf Meter hohe Erdsenke hinabrutschte, wo Flug 211 schließlich zum Stehen kam. Leck geschlagene Treibstofftanks entzündeten sich und es entstand ein starkes Feuer. Als Minuten später die ersten Rettungskräfte der Flughafenfeuerwehr eintrafen, stand das Wrack der Dash 8 lichterloh in Flammen. Copilotin Rashid erlag noch am Unglücksort ihren Verletzungen, während Kapitän Sultan einen Tag später im Krankenhaus verstarb. Die Gesamtzahl der Todesopfer belief sich schlussendlich auf 51.
Nepalesische Flugunfallkommission entsetzt: Kapitän mit Depressionen
Die nepalesische Flugunfallkommission war entsetzt, als sie die Personalakten von Kapitän Sultan überprüfte. Bereits 1993 wurde er aufgrund von Depressionen aus dem Militärdienst entlassen. Doch obwohl seine Symptome nie ganz verschwunden waren, stellte US-Bangla ihn dennoch als Pilot ein. Dies war möglich, weil die medizinische Bewertungsdokumentation nie objektiv nachgeprüft worden war. Man verließ sich auf Treu und Glauben auf Angaben in der Selbstauskunft des Piloten, was US-Bangla zur späteren Neuordnung ihres Personalmanagements veranlasste.
Auch die Flugverkehrskontrolle gab kein gutes Bild ab. Zu keiner Zeit unterstützte sie die offenkundig orientierungslose Besatzung mit klaren Positionsangaben, Kursempfehlungen und Angaben der Entfernung zur Landebahn.
Autor: Jan-Arwed Richter