Nur zwölf Handley Page Halton wurden exklusiv für BOAC gebaut. Die Schwerter-zu-Pflugscharen-Ausführung des legendären Halifax-Bombers flog keine drei Jahre für eine der Vorgängerinnen der heutigen British Airways.

Der Zweite Weltkrieg endete am 8. Mai 1945 in Europa mit dem Sieg der Alliierten. Diesseits und jenseits des Atlantiks versuchten deren Airlines so schnell wie möglich wieder an den Start zu gehen. So auch in Großbritannien, das damals noch über ein globales „Empire“ mit Kolonien auf diversen Kontinenten verfügte.

Nabelschnur des British Empire

British Overseas Airways Corporation (BOAC), eine Vorgängerin der heutigen British Airways, hatte den Auftrag, jene Außenposten des britischen Königreichs mit dem Mutterland zu verbinden. Diplomaten und Geschäftsleute, nur selten Privatreisende, vor allem aber Fracht und Post galt es über große Distanzen zu befördern.

Dieses zeitgenössische BOAC-Werbeplakat zeigt die Aufteilung der Halton-Kabine. Bild: British Airways

Die Mission war klar, doch womit sollte sie erfüllt werden? Großbritannien hatte im Zweiten Weltkrieg seine gesamte Industrie auf den Sieg über Nazideutschland ausgerichtet. Entsprechend wurden tausende Kampfflugzeuge und Bomber gebaut, die für den Kriegseinsatz – jedoch nicht für eine Verwendung in den nachfolgenden Friedenszeiten – konzipiert waren.

Devisenknappheit

Ganz anders sah die Lage in den USA aus. Dort standen mit Curtiss C-46, Douglas DC-3 und DC-4 sowie Lockheed Constellation sofort vier, ohne große Umbauten als Passagiermaschinen einsetzbare Transportflugzeuge zur Verfügung. Mit dem Ende der Kampfhandlungen benötigte sie das Militär nicht mehr und verkaufte sie für wenige Dollar an „flugzeughungrige“ Airlines.

Dieser historische BOAC-Flugplan zeigt den Verlauf der Halton-Route von London in das westafrikanische Accra sowie die entsprechenden Flugzeiten. Bild: Sammlung Wolfgang Borgmann

BOAC wäre liebend gern dabei gewesen sich in diesem Flugzeug-Schlaraffenland zu bedienen, doch verfügte Großbritannien nach Kriegsende nur über minimale Dollar-Reserven, die der britische Staat für wichtigere Dinge, denn den Ankauf von Passagierflugzeugen brauchte. So hieß der Slogan für BOAC notgedrungen „Buy British“.

Nur Militärflugzeuge

Womit wir wieder bei dem Ausgangsproblem angekommen sind. Denn die Frage, die sich BOAC-Chairman stellte, war: Welche modernen britischen Landflugzeuge kann ich kaufen? Bis auf unwirtschaftliche Flugboote, die vor allem auf Ultra-Langstrecken in das südliche Afrika und nach Südostasien eingesetzt wurden, gab es nichts auf dem Markt.

Die Passagierkabine der Halton war mit sehr komfortablen Liegesitzen ausgestattet. Bild: British Airways

Der Not gehorchend nahm sich Handley Page seinen Halifax-Bomber vor – und verwandelte ihn mit relativ geringem Aufwand in eine Passagiermaschine. Daraus resultierte die Handley Page H.P. 70 Halton.

Bereits zum Zeitpunkt ihrer Indienststellung galt die zivile Weiterentwicklung der bis April 1945 in 6178 Exemplaren gebauten H.P. 57 Halifax als Lückenfüller bis zum Eintreffen größerer und wirtschaftlicherer Muster. Dabei sah die Halton auf den ersten Blick wie das perfekte Nachkriegsflugzeug für „lange, dünne“ Routen mit geringem Verkehrsaufkommen aus.

Nach ihrer Ausmusterung durch BOAC wurden die zwölf Halton vom Flugzeugmakler Airtech an andere britische Airlines vermittelt. Bild: Sammlung Wolfgang Borgmann

Ihre Fluggäste reisten in zehn komfortablen, weit nach hinten lehnbaren Schlafsesseln, wurden mit Gerichten verwöhnt die Flugbegleiter in der Bordküche live zubereiteten und flogen ihrem Ziel in Übersee auf Grund der großen Reichweite von rund 4000 Kilometern mit nur wenigen Zwischenlandungen entgegen.

Exklusiv für BOAC

Clou der Halton war ein unter dem Rumpf angebautes „Pannier“. Dieser Behälter konnte 3629 Kilogramm zahlende Fracht und Post aufnehmen, was sich positiv auf die Wirtschaftlichkeit der beflogenen Linienverbindungen auswirkte.

Diese seltene Aufnahme zeigt eine Halton im Hintergrund sowie eine Halifax VIII während der Berliner Luftbrücke auf dem Vorfeld des Hamburg Airport. Bild: Sammlung Dr. John Provan

Das Behältnis befand sich dort unter dem Rumpf, wo bei dem militärischen Schwestermodell H.P. 57 Halifax einst die Bombenlast verstaut war.

Doch das rasant ansteigende Passagieraufkommen ab 1945 machte die Halton schnell überflüssig. Allein zwischen 1946 und 1948 – dem Zeitraum des Einsatzes der H.P. 70 bei BOAC – stieg das Volumen des Weltluftverkehrs um ein Drittel. Von 18 auf 24 Millionen Passagiere.

Motorwartung einer Handley Page H.P. 70 Halton

Einhergehend mit einem entspannteren Devisenbestand Britanniens kamen für BOAC bald auch wirtschaftlichere Verkehrsflugzeuge, wie die US-amerikanischen Boeing 377 Stratocruiser und Lockheed L-049 Constellation sowie die kanadische Canadair C-4 Argonaut in Sicht.

Schon bald zu klein

Auch wenn die H.P. 70 der im Zweiten Weltkrieg in 98 Exemplaren hergestellten Transportversion Halifax C.Mk VIII verblüffend ähnlich sieht, handelt es sich bei ihr um ein neu entwickeltes Nachkriegsdesign.

Anlässlich der feierlichen Übergabe der ersten H.P. 70 an BOAC , mit dem Kennzeichen G-AHDU und Taufnamen „Falkirk“, erklärte der stolze Firmeninhaber Sir Frederick Handley Page: „Dies ist das erste zivile Nachkriegsmodell das die Fabrik in Radlett verlässt. Es ist eine willkommene Abwechslung ein Flugzeug für zivile Zwecke herzustellen.“

„Falkirk“ wurde am 10. Juli 1946 von Handley Page an BOAC ausgeliefert, während das letzte Exemplar des Dutzends mit dem Kennzeichen G-AHDO und Taufnamen „Forfar“ am 13. August 1947 zur Corporation stieß.

BOAC nutzte die zwölf für sie gebauten Halton für nicht einmal drei Jahre. Bild: British Airways

Nur einen Monat nach ihrer Auslieferung startete die „Falkirk“ zu ihrem ersten Streckenerprobungsflug im Zeichen des BOAC „Speedbird“. Der erfolgreiche Testflug führte unter dem Kommando des Flugmeilen-Millionärs, Captain W. G. Buchanan, vom London Airport (heute Heathrow) über die algerische Hauptstadt Algier und die britische Luftwaffenbasis im libyschen Castel Benito, vor den Toren von Tripolis, in die ägyptische Hauptstadt Kairo.

Der Linienverkehr begann noch im selben Monat des Jahres 1946. Erste Ziele ab London waren Accra und Lagos in Westafrika sowie mit Karatschi und Kairo in die Hauptstädte Pakistans und Ägyptens.

Lastesel der Berliner Luftbrücke

Ein gutes Geschäft witterte der damals noch junge, 1979 von Königin Elizabeth II zum Knight Bachelor geschlagene Luftfahrtpionier Sir Freddy Laker. Er machte sich in den späten siebziger Jahren einen Namen als Pionier des Low-Cost-Luftverkehrs über dem Atlantik. Er erwarb elf, der im Juli 1948 von BOAC ausgemusterten Halton, und verkaufte umgehend fünf davon gewinnbringend an kleine Airlines, die händeringend nach Transportkapazität für ihren Einsatz auf der Berliner Luftbrücke 1948/49 suchten.

Abfertigung einer Halton der britischen Eagle Aviation während der Berliner Luftbrücke 1948/49. Bild: Sammlung Wolfgang Borgmann

Die übrigen sechs Maschinen vermietete seine Firma Aviation Traders Ltd. an Bond Air Service – ebenfalls für deren Einsatz auf der Berliner Luftbrücke. Nach dem Ende der Blockade der westlichen Zonen Berlins durch die Sowjetunion gingen vier der zwölf Halton den Weg hunderter ausgemusterter Halifax und anderer britischer Muster des Zweiten Weltkriegs, die Laker in einem eigens dafür am Flughafen Southend gebauten Schmelzofen zu Aluminiumblöcken recycelte.

Im Ofen geschmolzen

Die Geschichte der H.P. 70 Halton endete vermutlich am 17. Dezember 1952, nachdem die G-AHDV „Finisterre“ als letztes noch einsatzklares Exemplar während eines Sturms gegen die Halifax C.Mk VIII G-AKEC gedrückt und dabei irreparabel beschädigt wurde. Keine einzige Halton ist für die Nachwelt erhalten geblieben.