Russlands Airlines in Kriegszeiten: Wirkt das Embargo?
Was ist seit Beginn der Sanktionen gegen Russland vor zwei Jahren aus der russischen Luftfahrt geworden? Wir haben 4,5 Millionen Datensätze analysiert – und sind zu einem ernüchternden Ergebnis gekommen.
Als Konsequenz auf den russischen Überfall auf die Ukraine wurde die russische Luftfahrt 2022 mit einem umfassenden Embargo belegt. Ziel war es, das Land an einem wunden Punkt zu treffen. Denn mehr noch als für die Staaten Westeuropas ist der Luftverkehr für Russland systemrelevant. Das Land erstreckt sich über elf Zeitzonen. Von Moskau nach Petropawlowsk auf der Halbinsel Kamtschatka, dem östlichsten Flughafen mit einer täglichen Verbindung nach Moskau, ist es genauso weit wie von Washington nach Berlin, nämlich rund 6700 Kilometer.
Noch nie zuvor in der Geschichte der modernen Verkehrsluftfahrt wurde eine der führenden Luftfahrtnationen der Welt mit so umfassenden Sanktionen belegt, die für Flugzeuge, Ersatzteile und Zubehör sowie Wartungsdienstleistungen gelten. Zwei Jahre später ist es Zeit für eine Zwischenbilanz.
Russland übertrug Leasingflugzeuge in das nationale Register
Bedingt durch das Embargo waren alle Leasinggesellschaften in Europa und den USA gezwungen, die Verträge für ihre nach Russland vermieteten Flugzeuge mit einer Frist von 30 Tagen zu kündigen und die Rückgabe der Maschinen zu verlangen. Zugleich verloren diese Flugzeuge mit sofortiger Wirkung ihren Versicherungsschutz. Die zivile Flotte Russlands bestand 2022 aus rund 1100 Flugzeugen, weit überwiegend Produkte westlicher Hersteller von DHC-6 Twin Otter bis zu Airbus A350 und Boeing 777-300ER. Rund 450 Maschinen waren das Eigentum von Leasinggesellschaften und deshalb in Irland oder Bermuda registriert.
Als Reaktion auf die Rückforderung übertrug die russische Luftfahrtbehörde einfach alle diese Flugzeuge in das nationale Register – sie wurden also gestohlen. Betroffen waren rund 50 Leasinggesellschaften vom Branchenriesen AerCap mit 150 Flugzeugen und 23 Ersatztriebwerken bis zu kleineren Gesellschaften wie Airwork Holding mit sechs Flugzeugen. In nur 76 Fällen gelang es den Eigentümern, Flugzeuge, die sich bei Kriegsausbruch im Ausland befanden, festzusetzen und zu sichern.
Russland hat knapp ein Viertel der Flugzeuge gekauft
Inzwischen hat Russland in mehreren Transaktionen knapp ein Viertel der Flugzeuge für insgesamt rund 2,5 Milliarden US-Dollar gekauft. Zudem wurden 1,2 Milliarden US-Dollar für weitere Käufe zur Verfügung gestellt. An einem Problem ändert sich durch die nachträgliche Legalisierung der Eigentumsverhältnisse nichts: Russland bleibt von der legalen Versorgung mit Ersatzteilen abgeschnitten. Die eigenen Vorräte der Fluggesellschaften und die der Lufthansa Technik Vostok Services, die rund ein Dutzend Airlines mit zusammen 400 Flugzeugen mit Ersatzteilen und Verbrauchsmaterial versorgte, darunter auch Aeroflot, sind endlich.
AERO INTERNATIONAL hat 4,5 Millionen Datensätze analysiert
Experten hatten erwartet, dass die Sanktionen spätestens nach einem Jahr zu deutlichen Einschränkungen des Luftverkehrs führen würden. Doch davon kann keine Rede sein. AERO INTERNATIONAL hat 4,5 Millionen Datensätze analysiert, die uns vom Online-Flugverfolgungsdienst Flightradar24 zur Verfügung gestellt wurden. Sie decken den Zeitraum zwischen Januar 2021 und Ende Februar 2024 ab. Zwar hinterlässt das Embargo erkennbare Spuren, aber von einem Zusammenbruch kann nicht die Rede sein. So führten russische Airlines im vergangenen Jahr 213 000 Flüge weniger durch als im Coronajahr 2021. Das ist ein Rückgang um 14 Prozent.
Auf der Langstrecke beträgt das Minus sogar 24 Prozent, was auch damit zu tun hat, dass von den 92 ausländischen Destinationen, die Aeroflot vor dem Krieg anflog, zwei Drittel weggebrochen sind. Wie es um die Zahl der Passagiere steht, zeigen diese Zahlen natürlich nicht. Immerhin halten die Fluggesellschaften aber hochfrequente Verbindungen zu Destinationen wie Antalya, Hurghada, Phuket, Dubai und Male aufrecht. Dubai zum Beispiel wurde im März dieses Jahres von Moskau-Scheremetjewo aus 26 Mal pro Woche angeflogen, jede zweite Verbindung davon mit Boeing 777-300ER. Das sind zusammengenommen rund 8000 Sitze. Man darf davon ausgehen, dass das Angebot ohne entsprechende Auslastung geringer wäre.
Spannende Infografiken, wie zum Beispiel „Zahl der Flüge russischer Airlines“ oder „Flugzeuge aus russischer Produktion“ sowie weitere Informationen zum offenbar illegalen Handel mit Flugzeugersatzteilen über China und den Iran, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von AERO INTERNATIONAL. Diese können Sie hier erwerben.
Text: Heinrich Großbongardt