Krieg in der Ukraine: Kaum noch dort zugelassene Flugzeuge im Einsatz
Seit Ausbruch des Krieges sind kaum noch ukrainische Flugzeuge im Einsatz. Für viele Airlines bedeutet das eine wirtschaftliche Katastrophe.
Ein Land, in dem vom einen auf den anderen Tag jeder zivile Luftverkehr eingestellt werden muss, weil es sich nach dem Überfall eines Nachbarn im Krieg befindet. Ein Markt, der von heute auf morgen nicht mehr vorhanden ist, ohne dass man auch nur halbwegs sagen könnte, wann es ihn wieder geben wird: Seit dem 24. Februar 2022 ist für den Luftverkehr in der Ukraine nichts mehr, wie es vorher war.
Die neue Realität trifft nicht nur ukrainische Airlines. Mit einem Anteil von 17 Prozent war Ryanair gemessen an der angebotenen Sitzkapazität in der Ukraine vor dem russischen Überfall die Marktführerin. Im Sommer 2022 wollten die Iren bis zu 20 Jets in dem Land stationieren. Wizz Air, die Nummer zwei, hatte nach Unterzeichnung des Open-Skies-Abkommens mit der EU im Oktober 2021 ebenfalls eine massive Ausweitung des Angebots angekündigt. Die Zahl der auf dem zentral gelegenen Flughafen Kiew-Schuljany stationierten Flugzeuge wurde im ersten Schritt von drei auf acht A320 erhöht. Weitere Flugzeuge sollten zum Sommerflugplan folgen, zusammen mit einer Vielzahl neuer Strecken.
Vor Krieg in der Ukraine: Land als interessanter Standort für IT-Dienstleistungen
Das Engagement der beiden Low-Cost- Riesen hatte handfeste Gründe. Anfang 2022 galt die Ukraine noch als einer der vielversprechendsten Luftverkehrsmärkte Europas. Von der Jahrtausendwende bis zum Beginn der Pandemie hat sich die Zahl der Passagiere verachtfacht. Selbst Boryspil International Airport, mit zuletzt 9,4 Millionen Passagieren der mit Abstand größte Flughafen des Landes, verzeichnete vor der Pandemie Zuwächse zwischen 18 und 22 Prozent pro Jahr. Und auch der Weg aus dem Pandemie-Tief sah vielversprechend aus.
Wie in vielen osteuropäischen Ländern sind die großen Treiber Arbeitsmigration und die große Zahl von ausgewanderten Menschen. Hinzu kommt, dass die Wirtschaft seit dem Euromaidan (Proteste in Kiew 2013 und 2014) trotz des Kampfes gegen die Separatisten im Osten des Landes rasant gewachsen ist – und mit ihr das verfügbare Einkommen. Viele Unternehmen hatten die Ukraine zum Beispiel als attraktiven Standort für IT-Dienstleistungen entdeckt. Von 2015 bis 2021 stieg das Bruttosozialprodukt pro Kopf um mehr als das Doppelte, von rund 2100 auf 4800 Dollar. Auch der Inlandsverkehr hat ein beachtliches Potenzial. Immerhin ist die Ukraine größer als Frankreich. Von der Grenze zu Polen bis zum Asowschen Meer im Osten ist es so weit wie von Hamburg nach Rom. Die wirtschaftlichen Zentren liegen weit auseinander.
Geplanter Ausbau der Infrastruktur durch Ukraine
Angesichts dieser Voraussetzungen ist es kein Wunder, dass sich auch die ukrainischen Airlines im Wachstumsmodus befanden. Ukraine International Airlines (UIA) verstärkte die Flotte 2021 um zwei Boeing 777-200 und fünf Embraer 190. Der Low-Coster SkyUp plante die Erweiterung auf 22 Flugzeuge. Azur Air Ukraine, eine Tochter des türkischen Reiseveranstalters Anex Tour, erweiterte ihre zuvor aus sechs Maschinen bestehende Flotte um eine Boeing 777-300ER und eine Boeing 737-300. Windrose Aviation erweiterte ihre Kapazität im vorigen Jahr um zwei ATR 72-600 sowie eine A321, und Bees Airlines wollte ihre Flotte in diesem Jahr von vier auf sechs Boeing 737-800 aufstocken.
Wegen der Bedeutung der Luftfahrt für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes hatte die Regierung im November 2021 die Gründung einer im Staatsbesitz befindlichen Fluggesellschaft angekündigt und mit Airbus eine Absichtserklärung über die Beschaffung von sechs A220, zwölf Flugzeugen der A320-Familie und vier Langstreckenjets unterzeichnet. Geplant waren auch der Bau von drei neuen Flughäfen – einer in Transkarpatien an der Grenze zur Slowakei und Ungarn, sowie zwei im Osten des Landes.
Großteil der ukrainischen Flugzeuge steckt fest
Der russische Überfall bereitete dem jäh ein Ende. Alle 61 Passagierflugzeuge, die sich in den Morgenstunden des 24. Februar in dem Land befanden, stecken seither dort fest , davon 33 auf dem Flughafen Kiew-Boryspil (Stand Dezember 2022). Neun Maschinen blieben auf dem am 10. April durch russische Raketen vollständig zerstörten Dnipro International Airport zurück.
Wizz Air schaffte es im September, eine A320 aus Lwiw auszufliegen. Aber drei Airbusse befinden sich weiterhin auf dem Flughafen Kiew-Schuljany. Auch Windrose Airlines gelang es, eine ATR 72 von Lwiw nach Polen zu überführen. Die übrigen Flugzeuge stehen dort, wo sie von der Schließung des Luftraums überrascht wurden: eine ATR 72 in Charkiw, zwei weitere sowie zwei A321 auf dem Flughafen Kiew-Boryspil. Die drei Airbusse und eine ATR 72 in Dnipro wurden höchstwahrscheinlich zerstört.
Auch Ukraine International Airlines ist stark betroffen. Die Airline hatte schon zehn Tage vor Kriegsausbruch einen Teil ihrer Flotte in Sicherheit bringen müssen, weil die Versicherungsgesellschaften angesichts der zunehmenden Spannungen keine Deckung mehr gewährten. Von den 13 verbliebenen Flugzeugen befinden sich sieben in der Ukraine. Die sechs anderen sind in Sicherheit und fliegen im Wetlease für den langjährigen Partner AirBaltic und andere Airlines.
SkyUp konnte alle ihre 737-800 bis auf eine retten. Diese steht in Kiew-Boryspil. Die übrigen Maschinen sind mit den Besatzungen an andere Fluggesellschaften vermietet und regelmäßige Gäste auf deutschen Airports. Zwei Flugzeuge hatte es im Oktober auf die Südhalbkugel verschlagen. Sie waren im Auftrag von TAAG Angola Airlines zwischen Luanda und Cabinda im Einsatz.
Autor: Heinrich Großbongardt
Dieser Artikel ist in AERO INTERNATIONAL 12/22 erschienen.