Das Herz von Europa: Flughafen Brüssel-Zaventem im Airport Porträt
Nach turbulenten Jahren befindet sich Brussels Airport wieder im Aufwind. Bis 2040 wird der Airport ausgebaut, um wachsende Passagierzahlen zu bewältigen
Das „Reiseziel Mond“ sucht der Besucher auf der Anzeigetafel des Flughafens Brüssel vergeblich – auch wenn die Rakete aus dem gleichnamigen Tim-und-StruppiComic des belgischen Zeichners Hergé im Blickpunkt des Terminals auf dem Airport steht. Trotzdem kann sich die Liste der Destinationen sehen lassen. Neben europäischen Zielen bietet der Flughafen zahlreiche Flüge nach Nordamerika, Asien und vor allem Afrika an – und fungiert gegenüber Gästen aus aller Welt gleichzeitig als Schaufenster belgischer Lebensart.
Dazu gehört ein breites Angebot nationaler Spezialitäten von Bier bis Schokolade genauso wie eben die Präsentation der Rakete aus den Büchern von Hergé, der in Belgien so hohes Ansehen genießt, dass ihm in Louvain la Neuve ein eigenes Museum gewidmet wurde – weltweit ein Novum für einen Comic-Zeichner. Die hier ansässige Brussels Airlines hat ihm zu Ehren mit der OO-SNB sogar eine A320 mit einem Motiv aus den Tim-und-Struppi-Comics lackiert.
Heimat von Brussels Airlines
Für den belgischen Flag Carrier ist Brüssel Heimatflughafen und Drehscheibe für Flüge in alle Welt. Das Unternehmen ist die größte Fluggesellschaft auf dem Airport. Sie betreibt von der belgischen Hauptstadt aus ein dichtes Netz an Flugverbindungen. Dazu gehören auch Langstreckenflüge. Besonders auf dem afrikanischen Kontinent ist die Airline stark vertreten. Ein Großteil der Fluggäste von Brussels Airlines sind Transferpassagiere, die auf dem Airport umsteigen. Wie andere große Airlines auch wickelt Brussels Airlines die Flüge und damit den Umschlag der Passagiere stoßweise ab. Ein großer Teil der Langstreckenflüge, insbesondere aus Afrika, erreicht den Flughafen Brüssel zwischen 6 und 7 Uhr.
Zwischen 10.30 und 12 Uhr verlassen die Langstreckenflüge den Airport. In die Mitte passen dann europäische Flüge, die neben regionalen Reisenden auch Passagiere der Langstreckenflüge bringen oder weiterbefördern. So verlassen zahlreiche europäische Flüge den Flughafen zwischen 9 und 10 Uhr. Zweitgrößte Airline auf dem Flughafen von Brüssel ist TUI fly Belgium. Die Airline hat ebenfalls ihre Heimatbasis auf dem Airport. Das Unternehmen bietet von Brüssel aus Flüge zu den üblichen Urlaubsdestinationen am Mittelmeer und in die Karibik, aber auch nach Osteuropa. Eine sehr aufkommensstarke Destination ist Marokko. Neben diesen beiden Unternehmen sind eine ganze Reihe von Low-Cost-Fluggesellschaften zu sehen.
Regelmäßige Verbindungen bieten Ryanair, Vueling, Easyjet, Air Arabia, Blue Air, Wow Air und Eurowings an. Daneben wird Brüssel von etlichen der großen internationalen Fluggesellschaften wie Lufthansa, KLM oder British Airways angeflogen. Langstreckenflüge nach Nordamerika bieten unter anderem Air Canada, Delta Air Lines und United Airlines von Brüssel aus an. Aus Asien sind regelmäßig Ana, Cathay Pacific, Hainan Airlines und Thai Airways auf dem Airport zu sehen. Aus Afrika kommen Ethiopian Airlines und Rwandair, und aus Mittelost sind Maschinen von Qatar Airways, Emirates und Etihad vertreten. Für die Entwicklung des Streckennetzes ist Léon Verhallen als Head of Aviation Development verantwortlich. Seine Aufgabe ist es, Airlines in aller Welt auf die Vorzüge von Brüssel hinzuweisen.
Für ihn ist Brüssel das Herz von Europa – ein Formulierung, die der Flughafen als Slogan verwendet. Und dafür gibt es tatsächlich gute Argumente. „In jedem Fall sind wir das politische Herz Europas“, sagt Verhallen nicht ohne Stolz. Und auch geografisch liege die Stadt ja im Zentrum des Kontinents. Das allein reicht natürlich nicht, um Airlines überall auf der Welt zur Aufnahme von Flügen zu bewegen. Deshalb ist es gut, dass auch Zahlen und Fakten für die belgische Metropole sprechen. „Belgien hat 11,5 Millionen Einwohner. Das ist sicher ein beachtlicher Heimatmarkt“, sagt Verhallen. Darüber hinaus reiche der Einzugsbereich des Flughafens aber bis in die Niederlande, Luxemburg, das nördliche Frankreich und die Grenzregionen Deutschlands hinein. Legt man eine Fahrtzeit von 90 Minuten mit dem Auto zugrunde, erreicht der Flughafen 15,2 Millionen Menschen.
Terroranschlag 2016
Viele davon nutzen den Flughafen tatsächlich. 2018 konnte der Airport 25,7 Millionen Passagiere abfertigen. Gegenüber dem Vorjahr betrug das Wachstum damit 3,6 Prozent. Gleichzeitig ging die Zahl der Flugbewegungen um ein Prozent auf 235 459 zurück. Das geflogene Frachtaufkommen nahm im selben Zeitraum um 1,5 Prozent auf 543 493 Tonnen zu. 2016 machte der Airport eine kleine Krise durch. Grund war ein Terroranschlag im März, als zwei Bomben in der Abflughalle explodierten. Im Anschluss daran war der Flughafen für drei Wochen komplett geschlossen. Es dauerte aufgrund der nötigen Arbeiten bis Mitte Juni, bis der Flughafen wieder mit voller Kapazität arbeiten konnte.
In dieser Zeit wurden nur 40 bis 50 Prozent der Flüge abgewickelt. Provisorisch wurden Check-in-Einrichtungen in einem großen Zelt installiert und andere Gebäudeteile dafür genutzt. „Dabei haben wir uns bemüht, es allen Airlines recht zu machen“, erinnert sich Léon Verhallen. „Wir haben darauf geachtet, dass jede Airline mindestens einen täglichen Flug abwickeln konnte.“ Ausnahme: Brussels Airlines. Der Heimatcarrier hatte Priorität. „Das klingt vielleicht im ersten Moment merkwürdig“, sagt Verhallen. „Aber die Airline hat hier ihre Heimatbasis. Wenn die Fluggesellschaft sechs Wochen lange keine Flüge hätte durchführen können, wäre das das Ende für das Unternehmen gewesen.
Und im Nachhinein haben uns alle Airlines ein sehr positives Feedback gegeben. Auch für die bevorzugte Behandlung von Brussels Airlines gab es Verständnis.“ Es war nicht der einzige Einbruch, den der Flughafen verkraften musste. Ganz schlimm war es kurz nach der Jahrtausendwende. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 geriet der Luftverkehr weltweit in eine Krise – die Fluggesellschaft Sabena, Vorläufer von Brussels Airlines, musste Insolvenz anmelden. Da die Airline ihr Hauptdrehkreuz in Brüssel hatte, verlor der Flughafen auf einen Schlag ein Drittel seines Verkehrsaufkommens.
Erst 2004 hatte sich die Situation für den Flughafen wieder stabilisiert. In jenem Jahr wurde der Airport dann privatisiert. Eine der Maßnahmen, die daraus resultierten: die Entwicklung einer Marketingstrategie, die ein sehr viel aktiveres Zugehen auf die Airlines zur Folge hatte als in der Zeit davor. Heute bietet der Flughafen 213 Destinationen im Passagierverkehr und 35 Nur-Fracht-Verbindungen an. 50 Prozent der Fluggäste befinden sich auf Urlaubsreisen, 30 Prozent sind geschäftlich unterwegs und 20 Prozent werden unter der Kategorie Visiting Friends and Relatives (VFR) zusammengefasst, also Passagiere, die Freunde und Verwandte besuchen.
Verbindungen in alle Welt
Sie kommen zum Großteil aus Afrika. 18 Prozent der Fluggäste sind Umsteiger. Wenn die Fluggäste in Brüssel einchecken, geschieht das im einzigen, sehr übersichtlichen Terminal. Es hat zwei sogenannte Piers: A dient Passagieren, die im Rahmen des Schengener Abkommens fliegen. Im Pier B werden Non-Schengen-Fluggäste abgefertigt. Insgesamt gibt es am Flughafen 57 Gates mit Fingern und 22 Gates, von denen aus die Passagiere mit Bussen zum Flugzeug gebracht werden. Dazu kommen vier Gates, bei denen die Fluggäste zu Fuß zu den Maschinen gehen. Sie wurden unter anderem für Ryanair und Easyjet eingerichtet.
Eine Besonderheit ist der Sicherheitsbereich. Er hat 25 Abfertigungspuren an einem Ort und ist damit der größte in Europa. Ebenfalls ungewöhnlich: Während des Wartens auf die Sicherheitskontrollen haben die Passagiere ungehinderten Blick auf die Flugzeuge und das Vorfeld außerhalb der Halle. Die Abfertigung in Brüssel ist sehr effektiv. Während Fluggäste in Frankfurt während der Stoßzeiten schon einmal bis zu 60 Minuten für die Sicherheitskontrolle brauchen, sind es in Brüssel deutlich weniger. „Wir messen die Zeit, die der Passagier in der Sicherheitskontrolle verbringt. Es sind maximal 15 bis 20 Minuten“, erläutert Verhallen. Wie in allen großen Flughäfen der Welt gibt es auch in Brüssel zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten.
Für die Anbindung an die Stadt und das umliegende Land bestehen zahlreiche Busverbindungen und ein Bahnhof unter dem Terminal. Wer mit dem Auto kommt, hat die Möglichkeit, sein Fahrzeug auf einem der 12 000 Parkplätze abzustellen. Wichtiger Geschäftsbereich ist der Güterumschlag. Brüssel gehört zu den größten Frachtflughäfen in Europa. Ein Drittel der Tonnage wird als Bellykapazität in den Laderäumen von Passagierflugzeugen befördert. Ein Drittel wird von Kurier- und Expressdiensten geflogen und ein weiteres Drittel von reinen Frachtfluggesellschaften befördert. Dazu gehören unter anderem Asiana Cargo, Aerologic, Qatar Airways Cargo oder Latam Cargo.
Der Kurier- und Expressdienst DHL betreibt am Flughafen einen Hub. Abgewickelt werden die Flüge auf drei Start- und Landebahnen. Darauf können bis zu 74 Flugbewegungen pro Stunde stattfinden. Insgesamt liegt die Kapazität des Flughafens bei bis zu 34 Millionen Passagieren. Sie soll langfristig steigen. Für die Zukunft hat der Flughafen unter der Bezeichnung Vision 2040 ein langfristiges Entwicklungskonzept entwickelt. Es geht davon aus, dass der Airport 2040 schon 40 Millionen Passagiere abwickelt. Es soll 315 000 Flugbewegungen geben. Pro Stunde können die drei Pisten dann 93 Flugbewegungen abwickeln. Nach einem ersten Entwicklungsschritt will der Airport die Zahl der Starts und Landungen schon ab 2025 auf 84 steigern.
Mehr Flüge bis 2040
Möglich werden soll die größere Passagierkapazität durch zahlreiche bauliche Maßnahmen. Zum Beispiel im Bereich der Fluggastgebäude: Das Terminal soll ergänzend zu den bestehenden Pier A und B bis 2025 einen Pier A West mit 23 zusätzlichen Gates erhalten. Bis 2035 soll dann Pier C mit weiteren Gates fertiggestellt sein. Dazu kommen neue Hotels und Bürogebäude. Ein wichtiger Aspekt des Ausbaus betrifft das Start- und Landebahnsystem des Flughafens. In Brüssel gibt es drei Pisten; zwei davon verlaufen parallel. Das sind die „07L/25R“ und die „07R/25L“. Die dritte Piste mit Nord-Süd-Richtung ist die „01/19“.
Im Normalbetrieb werden die „25R“ und „25L“ für Landungen und die „25R“ für Starts genutzt. Alternativ können auf der „07L“ und „07R“ Starts und auf der „01“ Landungen durchgeführt werden. Die Steigerung der Flugbewegungen auf 84 bis 2025 wird durch verschiedene Maßnahmen möglich. Dazu sollen neue Anflugverfahren entwickelt und eingeführt sowie gleichzeitig zusätzliche Rollwege gebaut werden. In der Folge können Flugzeuge auch auf der Piste 19 starten und auf den Bahnen 07L und 07R landen. Für die weiter nach 2025 vorgesehene Steigerung der Kapazität auf 93 Flugbewegungen gibt es verschiedene Planungen.
Um das zu ermöglichen, hatte der Flughafen zunächst den Bau einer vierten Start- und Landebahn angedacht, diese Überlegung aber wieder verworfen. Stattdessen sind jetzt zwei Varianten im Gespräch. Beide beinhalten bauliche Veränderungen an der „07R/25L“, das ist die südliche der beiden parallelen Pisten. Hier ist der Taxiway bisher nicht bis zum Ende der Bahn ausgebaut, sodass die Flugzeuge beim Start auf der „25L“ in nordöstlicher Richtung bis zum Ende der Piste rollen müssen, wo sie dann wenden, um in Richtung Südwest zu starten. Die erste Ausbauvariante sieht eine Verlängerung des Taxiways bis zum Ende der Piste vor, sodass die Flugzeuge über den Rollweg auf die Startbahn rollen können, was die höhere Zahl an Starts pro Stunde möglich macht.
Bei der zweiten Variante würde die „07R/25L“ insgesamt um 900 Meter nach Osten ausgebaut und gleichzeitig der parallele Taxiway verlängert. Eine Entscheidung zwischen den Varianten hat der Flughafen noch nicht getroffen. Und wie sieht es mit den zukünftigen Verbindungen aus, die von Zaventem aus in die Welt starten? Da hat Léon Verhallen klare Vorstellungen. Das Reiseziel Mond ist natürlich nicht dabei. Auf seinem Wunschzettel stehen aber eine ganze Reihe sehr attraktiver Langstreckendestinationen. Dazu gehören Houston und die Westküste der USA, São Paulo, Johannesburg, Seoul und Manila in Asien.
Text: Frank Littek, AERO INTERNATIONAL 4/2019