COMAC und Suchoi: Flugzeugbau in China und Russland
Beim Bau von Verkehrsflugzeugen hat die Volksrepublik ambitionierte Ziele. Der Erfolg ist allerdings fraglich
Zu den Hinguckern der Luftfahrtmesse in Zhuhai 2018 gehörte das lebensgroße Mockup eines Verkehrsflugzeugs. 22 Meter lang, 6,50 Meter hoch und 5,90 Meter im Durchmesser zeigte es das vordere Rumpfteil des gemeinsamen Versuchs von Russland und China, das Duopol von Airbus und Boeing zu knacken. 245 Tonnen maximales Startgewicht, 280 Passagiere in einer Drei-Klassen-Bestuhlung und eine Reichweite von 12 000 Kilometern lauten die Eckwerte. Damit entspricht das Flugzeug mit der Typenbezeichnung CRAIC CR929 in etwa einem Airbus A330-900 oder einer Boeing 787-10: ein typischer Widebody für die Langstrecke.
Die Abkürzung CRAIC steht für China-Russia Commercial Aircraft International Corporation, einem Gemeinschaftsunternehmen, an dem die staatliche chinesische COMAC und der russische Hersteller UTC jeweils zur Hälfte beteiligt sind. Auf Dauer dürften sich die Gewichte aber verschieben, denn China hat nun mal die tieferen Taschen, den größeren eigenen Markt und auch die größeren Ambitionen. Das Modell zeigte eine geräumige Kabine, die breiter ist als die der beiden Konkurrenten. Das Cockpit verfügt über einen Sidestick. Details waren aber auch dort nicht zu erkennen, denn noch findet das große Schaulaufen der potenziellen Zulieferer statt.
Bestellungen ohne Wert
Die Auswahl soll bis Ende 2019 abgeschlossen sein, wobei für alle wesentlichen Systeme nur westliche Anbieter in Frage kommen dürften. Zumindest anfänglich gilt das auch für die Triebwerke. Eigene zivile Schublieferanten mit den benötigten 350 bis 400 kN hat keiner der Partner zu bieten. Also wird man anfänglich auf Rolls-Royce oder General Electric zugreifen. Aber das soll erklärtermaßen nur eine Zwischenlösung sein. China arbeitet an einem eigenen zivilen Motor und hat sich gerade beim ukrainischen Triebwerkshersteller Motor Sich eingekauft, der unter anderem die 230 kN starken Triebwerke für die Antonov An-124 und die riesige An-225 im Programm hat.
Gleichzeitig gibt es ein gemeinsames Projekt zwischen der russischen United Engine Corporation und der chinesischen Avic Commercial Aircraft Engine. Der Erstflug der CR929 ist bereits für 2023 geplant, spätestens 2027 soll das erste Flugzeug nach den Planungen in den Liniendienst gehen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass eines der beiden Programme bis dahin ein auch nur halbwegs serienreifes Triebwerk wird liefern können. Ernsthafte Sorgen werden sich Boeing und Airbus vorerst wohl kaum machen müssen. Zwar investiert China Milliarden in die Aufholjagd ihrer Luft- und Raumfahrtindustrie und hat sowohl im Weltraum als auch in der bemannten und unbemannten militärischen Luftfahrt inzwischen Beachtliches vorzuweisen. Aber die Eintrittsbarrieren in den Markt für zivile Flugzeuge sind himmelhoch.
Die Bemühungen Chinas, eigene Verkehrsflugzeuge auf den Markt zu bringen, reichen bis in die achtziger Jahre zurück. 1986 schlossen die Xian Aircraft Company und der Unternehmensbereich Transportflugzeuge von MBB Messerschmitt Bölkow Blohm, einer der deutschen Vorläufer des heutigen Airbus-Konzerns, einen Vertrag über eine Machbarkeitsstudie für ein Verkehrsflugzeug mit 75 Sitzen. Das Flugzeug sollte technologisch ein Vorreiter seiner Klasse sein, mit Fly-by-Wire-Steuerung und Sidesticks, wie sie erstmals beim Airbus A320 eingesetzt wurden, einem besonders widerstandsarmen Flügel und dem Einsatz modernster Verbundwerkstoffe. Aus dem 75-Sitzer wurde im Lauf der Studie ein 120-Sitzer und damit ein potenzieller Konkurrent für die A319. Es blieb bei der Studie, deren Umsetzung angesichts der fortschreitenden Integration der Airbus-Partner nicht realistisch war.
2002 verkündete das Land dann offiziell den Start seines ersten eigenen Passagierjets, der ARJ21. Bis zum Erstflug gaben sich die Chinesen nur drei Jahre, bis zur ersten Auslieferung nur viereinhalb. Diese von politischen Vorgaben getriebene unrealistische Zeitplanung ist das gemeinsame Kennzeichen aller bisherigen kommerziellen Programme der chinesischen Luftfahrtindustrie. Es dauerte bis Dezember 2007, bis der erste Prototyp aus der Halle rollte und ein weiteres volles Jahr, bis er zum ersten Mal abhob. Die Zertifizierung des Regionalfliegers durch die chinesische Luftfahrtbehörde CAAC erfolgte im September 2015, 13 Jahre nach dem Programmstart.
Vom Wert der Marktforschung
Zwar stehen 127 Festbestellungen und 399 Optionen auf dem Papier, ausgeliefert wurden bisher aber nur acht Maschinen an Chengdu Airlines. Im Juni 2018 bestellte die chinesische HNA Group, zu der sieben chinesische Airlines gehören, 100 Flugzeuge. Doch diese Order dürfte das Papier nicht wert sein, auf dem sie steht, denn das Konglomerat ist mit beinahe 100 Milliarden US-Dollar verschuldet und hat dieses inzwischen technisch längst veraltete Flugzeug wohl nur bestellt, um so politisch gut Wetter zu machen. Auch 200 Stück des A320neo-Konkurrenten COMAC C919 hat HNA bei dieser Gelegenheit geordert. 1000 Bestellungen, Optionen und Absichtserklärungen gibt es für dieses Flugzeug. Die größten chinesischen Airlines – Air China, China Southern und China Eastern – haben je 5 Festbestellungen und 15 Optionen gezeichnet.
Die Masse der Bestellungen kommt aber von chinesischen Banken und Leasinggesellschaften. Nur ein westlicher Name findet sich bisher auf der Kundenliste. Es ist die GE Capital Aviation Services (GECAS) mit 20 Festbestellungen und 20 Optionen. Als Lieferant der CFM-LEAP-Motoren konnten die Amerikaner kaum abseitsstehen. Ob sie jemals in die Verlegenheit kommen werden, die Flugzeuge abzunehmen, darf man bezweifeln, denn auch dieses Flugzeugprogramm liegt um Jahre hinter dem Zeitplan. 2008 gestartet sah dieser einen Erstflug im Jahr 2014 vor und die erste Auslieferung 2016. Damit wäre die C919 als komplette Neuentwicklung sogar früher auf dem Markt gewesen als die A320neo. Von dieser realitätsfernen Zeitplanung ist inzwischen keine Rede mehr.
Der Jungfernflug des ersten Prototyps war vor eineinhalb Jahren. Gerade mal fünf Stunden pro Monat waren die inzwischen in der Erprobung befindlichen zwei Flugzeuge bisher in der Luft – bei einem geplanten Testprogramm von insgesamt 4200 Stunden. Selbst wenn in diesem Jahr noch die letzten drei Maschinen für die Flugerprobung übergeben werden sollen, dürfte es schwer werden, den inzwischen auf den Dezember 2020 verschobenen Termin für die Zertifizierung durch die CAAC zu halten. Wurde die Behörde bei die ARJ21 noch von der amerikanischen FAA unterstützt, will sie diese komplexe Aufgabe diesmal allein stemmen. Doch selbst wenn die Musterzulassung erteilt ist, stehen der Hochlauf für die Serienproduktion und der erfolgreiche Start in den harten Airline-Alltag noch bevor.
Airbus, Boeing und auch die drei großen Triebwerkshersteller können ein Lied davon singen, welche Überraschungen dabei warten. Was den Kampf gegen Kinderkrankheiten eines neuen Flugzeugs betrifft, hat auch der russische Partner im CR929-Programm schmerzliche Erfahrungen damit gemacht, denn zum UTC-Konzern gehört auch Suchoi, Hersteller des Superjet 100. Zwar ist es den russischen Ingenieuren gelungen, einen attraktiven Hundertsitzer auf den Markt zu bringen, dessen Flugleistungen und Komfort auch außerhalb Russlands Interesse wecken. Der Preis und die durch russische Banken arrangierten Finanzierungskonditionen sind fraglos ein weiteres starkes Argument.
Steiniger Weg zum Erfolg
Aber was hilft das alles, wenn zum Beispiel die Ersatzteilversorgung nicht den Ansprüchen eines eng getakteten Flugbetriebs genügt. Und genau da hapert es bei dem ansonsten gut geratenen Flugzeug. Die Lufthansa-Tochter Brussels Airlines etwa hat derzeit sechs Superjets samt Besatzung von dem Wet-Lease-Spezialisten CityJet im Einsatz. Wenn ein Ersatzteil benötigt wird, dann muss es aus einem Lager in Venedig eingeflogen werden – wenn es dort vorhanden ist. Im Juni zum Beispiel stand die EI-FWB, wie Insider berichten, wegen technischer Probleme mehr als eine Woche in Zadar. Im Frühjahr 2019 wird sich Brussels Airlines von den Suchoi-Jets trennen.
Gerade in der Ersatzteillogistik steckt eine Menge Know-how. Dank der Erfahrung aus Millionen Flugstunden unter den unterschiedlichsten operationellen Bedingungen haben Airbus und Boeing, aber auch Instandhaltungsspezialisten wie Lufthansa Technik, ein recht gutes Bild davon, welche Teile wie häufig benötigt werden. Diese Erfahrung muss ein Neuling erst einmal sammeln. Und auch die Logistik in Zusammenhang mit der Bevorratung und dem Versand der benötigten Teile ist extrem Know-how-intensiv. Es gibt viele weitere Gründe, weshalb sich weder Airbus noch Boeing Sorgen machen müssen, dass Russen und Chinesen ihnen mit vereinten Kräften einen Teil des Widebody-Markts entreißen.
Einer davon heißt Marktforschung. Die Abschätzung des zukünftigen Bedarfs ist nur ein Teil dieser Aufgabe. Es geht vor allem darum, im Dialog mit den Fluggesellschaften dieser Welt ein Bild davon zu bekommen, was sie genau von einem neuen Flugzeug erwarten. Und da fallen die Antworten der Instandhaltungsabteilung einer Airline anders aus als von jemandem, der für die Kabine an Bord zuständig ist. Und eine Leasinggesellschaft wird andere Lösungen verlangen als ein asiatischer Low-Cost-Carrier oder eine Netzwerk-Fluggesellschaft aus den USA.
Die so gewonnenen Informationen im Rahmen der Produktdefinition mit den technologischen Rahmenbedingungen unter einen Hut zu bringen, ist ein gewaltiges Stück Arbeit. Hier wird das Fundament für den kommerziellen Erfolg gelegt. Bei der CR929 ist von solcher Art Gesprächen nichts zu hören. Wie zuvor die ARJ21 und die C919 ist ihre Entwicklung von den Ambitionen der Staatsführung getrieben und nicht vom Markt. Bevor sich das nicht ändert, werden chinesische Flugzeuge nicht einmal bei chinesischen Fluggesellschaften eine Rolle spielen können.
Text: Heinrich Großbongardt, AERO INTERNATIONAL 2/2019