Pilotinnen im Porträt – Im Wasserflugzeug über den Malediven
Nila Kiefers Weg ins Cockpit führte letztlich über Umwege zum Ziel. Doch schließlich fand sie ihr berufliches Glück im Indischen Ozean – als Pilotin von Wasserflugzeugen
Bis die Deutsch-Italienerin Nila Kiefer wusste, was sie wollte, sollte Zeit vergehen. 2003, den Schulabschluss in der Tasche, lässt die 19-Jährige die Toskana hinter sich, geht nach Großbritannien, um ihr Englisch auf Vordermann zu bringen und verkauft unter anderem luxusliebenden Gucci-Kundinnen High Heels im ewig verregneten London. Aus der geplant mehrmonatigen Stippvisite werden jedoch Jahre. Und nach wie vor unschlüssig, wohin die berufliche Reise führen soll, tauscht sie 2006 den Arbeitsplatz im Einzelhandel mit einem Job bei British Mediterranean Airways (BMED).
Der kleine Carrier hat A320 und A321 in der Flotte und Ziele in der Levante, Zentralasien sowie Nordafrika im Programm. Als Flugbegleiterin braucht Nila – von Natur aus neugierig auf das Leben, andere Kulturen und Menschen – fortan nicht mehr nur von den Geheimnissen des Orients, den sagenumwobenen Handelsplätzen entlang der Seidenstraße oder der faszinierenden Natur des Schwarzen Kontinents zu träumen. Was durchaus eine Bereicherung für das Leben der bis dato auf dem Bremspedal stehenden temperamentvollen Abenteurerin darstellt. Mehr noch: „Gleich auf meinem ersten Flug saß ich für Start und Landung im Cockpit auf dem Jumpseat. Es war Liebe auf den ersten Blick“, erinnert sich die Mitdreißigerin.
Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen: auf den Malediven
„Von diesem Moment an beschäftigte ich mich ernsthaft mit dem Gedanken, Pilotin zu werden.“ Und das Aus der BMED im Herbst 2007 zwingt sie schließlich zu schnellem Handeln. Nila Kiefer zieht in kürzester Zeit ihre PPL-Ausbildung bei der Anglo American Aviation in der Nähe von San Diego durch. „Das war damals die einzige Schule an der US-amerikanischen Westküste, die UK-Lizenzen ausstellte“, begründet sie die Wahl, die sie nicht bereut. Im Gegenteil: Jeder Trainingsflug auf Cessna 152 bestärkt sie in ihrem Vorhaben. „Auf meinem ersten Solo-Flug spürte ich dieses sensationelle Gefühl von Freiheit, das mich tatsächlich noch heute mit Glück erfüllt.“ Zurück in Großbritannien versucht sie, in einem der ATPL-Ausbildungsprogramme diverser Airlines unterzukommen.
Doch weder Thomsonfly noch Netjets haben Platz für die vor Leidenschaft Brennende. Also heißt es zunächst wieder: Luxusklamotten verkaufen, für Gucci und Fendi, das kennt Nila ja. Und Geld muss sie verdienen, London ist schließlich ein teures Pflaster. Das Fernweh jedoch bleibt und kann selbst durch einen Umzug nach Südafrika nicht geheilt werden. Zwar fliegt sie rund um Kapstadt privat weiter. Allerdings muss Nila schnell feststellen, dass ihre Jobs niemals genug Geld abwerfen werden, um aus eigener Kraft die ATPL-Ausbildung zu finanzieren. Ein Onkel mütterlicherseits ist schließlich bereit, seiner Nichte das Geld vorzustrecken. 27 Lenze zählt sie mittlerweile, als es abermals gilt, die Umzugskartons zu packen.
Die angehende Verkehrspilotin zieht bei der Flight Training Europe (FTE) im andalusischen Jerez die nächste Ausbildungsstufe in 15 Monaten durch. „Ich hatte seit dem Abitur kein Lehrbuch mehr in der Hand.“ Sie muss das Lernen wieder lernen, dazu das Fachenglisch. „Aber ich habe mich durchgebissen.“ Das praktische Training geht ihr dagegen leichter von der Hand. Geschult wird auf Piper Warrior und Seneca. Für die Multi-Crew-Cooperation(MCC)-Lizenz verbringt Nila darüber hinaus 16 Stunden im Boeing-737-Simulator. Doch Jets zu fliegen, ist nicht mehr ihr Ziel. Vielmehr keimt der Wunsch, Wasserflugzeuge zu steuern – eine Flause, die ihr ein maldivischer Mitschüler ins Hirn gepflanzt hat. Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen. Ewige Sonne. Grenzenlose Freiheit.
So lautet der Traum. Allerdings geht Nila nach ihrem Abschluss zunächst einmal nach Deutschland, in die Heimat ihrer Mutter, und nimmt mit einem Job als Flugbegleiterin bei der Luftfahrtgesellschaft Walter (LGW) vorlieb, denn Pilotenstellen sind in jenen Tagen durchaus rar. Dennoch nutzt sie die nächste Gelegenheit, um mit einem Freund auf die Malediven zu reisen und sich bei Trans Maldivian Airways (TMA) zu bewerben. Mit aussichtsreichem Ergebnis. Das einzige Hindernis auf dem Weg ins Cockpit sind jene 250 Flugstunden, die als Voraussetzung gelten, sowie das Wasserflugzeug-Rating. Dieses absolviert sie in Norditalien in acht Stunden auf einer Cessna 172 mit Schwimmern, und für die letzten benötigten 22 Flugstunden mietet sie sich eine Cessna 152 mit Rädern, mit der sie kreuz und quer über die Iberische Halbinsel fliegt.
Pilotin im Wasserflugzeug
Im Sommer 2014 bricht sie schließlich in Richtung Malediven auf. Die rund 1190 winzigen Inseln mitten im Indischen Ozean sind bereits für Millionen Reisende jährlich das Sehnsuchtsziel schlechthin. Und angesichts der Tatsache, dass sich die Atolle auf einer mehr als 871 Kilometer langen, in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Achse erstrecken, ist der Inselstaat für den Wasserflugverkehr geradezu prädestiniert. Wer eine schnelle und bequeme Verbindung vom Internationalen Flughafen, der sich auf der Malé vorgelagerten Airportinsel befindet, mit seinem Resort sucht, wird sich unweigerlich an TMA wenden. Sie gilt als größte Wasserflugzeugbetreiberin der Welt. Fast 50 DHC-6 stehen in Diensten, und eben diese „Twin Otter“ genannten Zweimotorigen kennt Nila mittlerweile aus dem Effeff, mehr noch: Sie hat sie lieben gelernt.
Die emsigen, weiß-rot-grauen Arbeitsbienen sind für die Tourismusdestination das, was die Yellow Cabs für New York sind. Trotzdem lässt sich das Fliegen auf den Malediven keinesfalls mit Taxifahren vergleichen. „Für uns Piloten ist jeder Flug anders, kein Umlauf gleicht dem nächsten“, versichert Nila. Geflogen wird zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang, ausschließlich auf Sicht, bis zu 16 Mal pro Tag. Die meisten Flüge dauern rund 30 Minuten. Der Flugplan ist eng an den Flugplan der Malé anfliegenden Big Player des Airline-Business gekoppelt. TMA fungiert quasi als Zu- und Abbringer. Jedoch: Spielende Delfine können durchaus schon mal den Start um einige Minuten verzögern, und Schildkröten auf den Schwimmern stellen zuweilen ein ernstzunehmendes Problem dar. Walhaie voraus? Kreuzende Mantas?
Gehören hier durchaus zum gewohnten Bild. Piloten in den urbaneren Teilen der Welt haben mit Vogelschlag zu kämpfen, müssen engeren Prozederen der Flugkontrolle folgen, werden durch strenge Vorgaben reglementiert. „Mir gibt kein Lotse die Windrichtung und -stärke durch. Ich allein muss den Seegang antizipieren, auf Meeresgetier und andere schwimmende Hindernisse achten, selbst entscheiden, in welche Richtung ich starte oder lande.“ Für die größte Herausforderung in ihrem Arbeitsalltag hält sie das Landen auf dem Wasser, das mal mehr, mal weniger in Bewegung ist. Während des Nord-Ost-Monsuns, also zwischen November und Ende April, herrscht relativ ruhige See. „Die Schwierigkeit dabei ist, die Flughöhe zur Wasseroberfläche, die wie ein Spiegel vor mir liegt, exakt einzuschätzen“, so die Wasserflugzeugpilotin.
Der Süd-Monsun während der Sommermonate Juni, Juli und August bringe dagegen zum Teil starken Wind, immer wieder kurze Regenschauer und somit durchaus ordentlich Seegang. Und hohe Wellen machen die Landung auch nicht gerade einfacher … Herausforderung Nummer zwei ist das Leben in dieser streng muslimisch geprägten Republik. Das gleicht keinem Luxusurlaub, obwohl die ausländischen Piloten Annehmlichkeiten genießen: „Wir leben auf Hulumalé, zahlen keine Miete, haben keine Nebenkosten, alle drei Monate gibt’s einen Monat frei, dazu Tickets nach Hause, in meinem Fall nach Europa.“
Aber: „Ärztliche Versorgung nehme ich lieber in Deutschland in Anspruch. Mein Kind wurde in Deutschland geboren“, teilt die junge Mutter mit, die inzwischen mit ihrem kanadischen Lebensgefährten auch ihr privates Glück am Äquator gefunden hat. Ihrem im Sommer 2017 geborenen Sohn zuliebe sucht die Weltenbummlerin derzeit nach neuen Herausforderungen. Nur eines steht fest: Die Liebe zu Wasserflugzeugen wird ihr niemand mehr nehmen können.
Dieses und weitere Piloten-Porträts sowie die Geschichte des faszinierenden Berufes sind in dem neuen Buch der Aero-International-Mitarbeiter Astrid Röben, Gunter Hartung und Dietmar Plath „Die Lust am Fliegen – Piloten und ihr Weg ins Cockpit“ erschienen.
168 Seiten, ca. 160 Abbildungen,
GeraMond Verlag
Format 22,7 mal 27,4 cm, Hardcover
ISBN-13: 978-3-95613-049-6
32,99 Euro (D)
34,00 Euro (A)
45,50 sFR
Text: Astrid Röben, Fotos: Dietmar Plath , GeraMond Verlag, AERO INTERNATIONAL 1/2019