Flugscham und Billigtickets – Luftverkehr reagiert auf Klima-Debatte
Frankfurt/Main, 12. Juni 2019 Der stark wachsende Flugverkehr gilt als Klimakiller. Mangels alternativer Antriebe werden die Jets noch viele Jahre lang fossiles Kerosin verbrennen und klimaschädliches Co2 in die Atmosphäre blasen. Die Branche kämpft um ihr Image. Noch ist «Flugscham» lediglich ein vor allem in Skandinavien verbreitetes Schlagwort. Weder auf dem deutschen noch auf dem […]
Frankfurt/Main, 12. Juni 2019
Der stark wachsende Flugverkehr gilt als Klimakiller. Mangels alternativer Antriebe werden die Jets noch viele Jahre lang fossiles Kerosin verbrennen und klimaschädliches Co2 in die Atmosphäre blasen. Die Branche kämpft um ihr Image.
Noch ist «Flugscham» lediglich ein vor allem in Skandinavien verbreitetes Schlagwort. Weder auf dem deutschen noch auf dem internationalen Luftverkehrsmarkt halten sich die Kunden beim Buchen von Flugreisen merklich zurück – der nach der schwedischen Aktivistin Thunberg benannte «Greta-Effekt» lässt auf sich warten. Nach Einschätzung des Airline-Verbandes IATA wird auch in diesem Jahr die globale Passagierzahl um 5 Prozent auf 4,6 Milliarden zulegen, die Industrie kann voraussichtlich das zehnte Jahr in Folge Nettogewinne einstreichen.
Doch das Image der Branche hat in den Zeiten des Klimawandels deutliche Kratzer erhalten. «Sie sind mitverantwortlich für den Sturzflug unserer Erde», schleuderte beispielsweise der «Fridays for Future»-Aktivist Maximilian Reimers dem Lufthansa-Chef Carsten Spohr auf der diesjährigen Hauptversammlung entgegen. Zwar ist der Luftverkehr nur für knapp 3 Prozent der weltweiten Co2-Emissionen verantwortlich, doch fehlt es angesichts des stetigen globalen Wachstums an einer positiven Perpektive in diesem Sektor.
Anders als im landgebundenen Verkehr oder bei der Energiegewinnung stehen bei Flugzeugen mittelfristig keine technische Alternative zu den Verbrennungsmotoren zur Verfügung. Der enorme Energiebedarf von Flugzeugmotoren bringt batterie-elektrische Lösungen schnell an die Grenzen, Brennstoffzellenflugzeuge befinden sich bislang noch im Forschungsstadium. Mit ihnen wäre emissionsfreies Fliegen möglich.
Ein klimafreundlicher Zwischenschritt wäre wie bei Autos der Einsatz nachwachsender Brennstoffe. Seit 2008 wird Bio-Kerosin im zivilen Luftverkehr getestet, seit 2016 setzt es die US-Gesellschaft United im Regelverkehr ein. Auch die Lufthansa hat den Bio-Treibstoff ausführlich getestet, verweist aber auf geringe Verfügbarkeit und sehr hohe Preise.
Auf absehbare Zeit bleibt die schnelle Flotten-Modernisierung der größte Hebel der Airlines, um umweltschonender unterwegs zu sein. Der irische Billigflieger Ryanair reklamiert für sich, mit 66 Gramm pro Personenkilometer die geringsten Co2-Emissionen in der europäischen Luftfahrtindustrie auszustoßen. Hilfreich sind dabei die hohe Auslastung der Jets (96 Prozent) und das geringe Durchschnittsalter der Flotte von gerade einmal sechs Jahren.
Ryanair profitiert vom schnellen Wachstum in den vergangenen Jahren auf nunmehr rund 475 Flugzeuge. Dass die Iren weitere 210 Jets bestellt haben und die Passagierzahl von zuletzt 153 Millionen auf mehr als 200 Millionen im Jahr 2024 steigern wollen, zeigt aber auch die Wachstumsproblematik. Alle diese Flieger müssen erst einmal gefüllt werden: Ryanair verspricht als Anreiz weiterhin fallende Preise, was viele für den eigentlichen Grund des Dauerwachstums zumindest in Europa halten.
Politisch steht die weltweite Nicht-Besteuerung des Flugbenzins zur Debatte. Nationale Alleingänge bei einer Kerosinsteuer hätten den Nachteil, dass sie heimische Gesellschaften und Flughäfen einseitig belasten würden, argumentiert der deutsche Branchenverband BDL. Umsteiger könnten wegen der geringeren Ticketpreise Drehkreuze im kerosinsteuerfreien Ausland wählen, und auch in Deutschland startende Passagiere würden bei Kostenvorteilen ausweichen.
Das ist im geringen Umfang bereits nach Einführung der Luftverkehrssteuer im Jahr 2011 geschehen, die jährlich mehr als eine Milliarde Euro in die Bundeskasse bringt. Die Steuer fällt für alle Flüge an, die von deutschen Flughäfen starten. Die Höhe richtet sich nach der Entfernung des Reiselandes und beträgt pro Passagier zwischen 7,46 Euro und 41,97 Euro.
Die gerade noch amtierende EU-Kommission hat die Auswirkungen einer europaweiten Kerosinsteuer untersuchen lassen, eine politische Mehrheit gibt es dafür aber nicht. Laut dem vom Verband Transport & Environment geleakten Bericht könnte der CO2-Ausstoß durch die rund 10 Prozent teureren Tickets um elf Prozent gedrückt werden. Europas Luftverkehr nimmt zudem bei Kontinentalflügen bereits am Emissionshandel für Industrie und Energiewirtschaft teil.
Bei aller klimaschädlichen Fliegerei will die Branche zumindest am Boden eine weiße Weste bekommen. Wärme, Strom und der Verkehr auf dem Vorfeld sind Ansatzpunkte für die Mitglieder des Flughafenverbandes ADV, die ihre Co2-Emissionen bis zum Jahr 2030 mindestens halbieren wollen. Auch die Lufthansa setzt am Boden auf Ökostrom sowie E-Autos und will dort bis 2030 klimaneutral werden.
In der Luft hilft hingegen zunächst nur Kompensation – Freikaufen oder Ablasshandel nennen das die Umweltaktivisten. Auf freiwillige Abgaben der Passagiere durfte man dabei bislang nicht hoffen. Ungeachtet wohlfeiler Äußerungen in Umfragen ist nur ein Bruchteil der Fluggäste bereit, über Anbieter wie Atmosfair oder Myclimate für Klimaschutzprojekte zu spenden.
Auf Industrieseite setzt der Airline-Verband IATA auf das zunächst freiwillige Kompensationsprogramm «Corsia», dem sich bislang vor allem westliche Staaten angeschlossen haben. Oberhalb des Schadstoff-Niveaus von 2020 muss jedes zusätzliche Gramm Co2 mit entsprechenden Zertifikaten kompensiert werden. Die Organisation rechnet bis 2035 mit einem Aufkommen von 2,5 Milliarden Tonnen mit einem Kompensationswert von annähernd 40 Milliarden Dollar, die an Klimaprojekte fließen sollen. Diese Emissionen würden nicht vermieden, sondern lediglich über Klima-Projekte kompensiert. Langfristig soll dann im Jahr 2050 ein Schadstoff-Niveau erreicht werden, das der Hälfte von 2005 entspricht.
Christian Ebner, dpa