„Kollektiver Wirklichkeitsverlust“: Bilanz zum Pannenflughafen BER
Berlin, 15. Juni 2016 Vier Jahre nach dem Terminflop am neuen Hauptstadtflughafen ist nun der Untersuchungsbericht öffentlich. Die 1269 Seiten sind für die Verantwortlichen kein gutes Zeugnis. Kollektiver Wirklichkeitsverlust, ein Verantwortungsvakuum und mangelnde Kontrolle zählen zu den Hauptgründen für das Debakel um den neuen Hauptstadtflughafen. Das geht aus dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses hervor, den das […]
Berlin, 15. Juni 2016
Vier Jahre nach dem Terminflop am neuen Hauptstadtflughafen ist nun der Untersuchungsbericht öffentlich. Die 1269 Seiten sind für die Verantwortlichen kein gutes Zeugnis.
Kollektiver Wirklichkeitsverlust, ein Verantwortungsvakuum und mangelnde Kontrolle zählen zu den Hauptgründen für das Debakel um den neuen Hauptstadtflughafen. Das geht aus dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses hervor, den das Berliner Abgeordnetenhaus am Mittwoch veröffentlichte. Nach dreieinhalb Jahren Ausschussarbeit attestierten die Parlamentarier dem Vorhaben eine Projektkultur, „die Anzeichen für Fehlentwicklungen und teils alarmierende Warnungen externer Stellen systematisch ausblendete“. Negative Informationen seien systematisch ignoriert und unterdrückt worden.
Der Ausschuss hatte 70 Zeugen befragt und mehr als 1600 Akten ausgewertet. Die Opposition aus Grünen, Linken und Piraten fügte dem Bericht lange Sondervoten an, weil aus ihrer Sicht in dem Konsenspapier die Politiker im Aufsichtsrat zu sehr geschont werden.
Das Gremium entwirft für die Zeit vor der spektakulär geplatzten Eröffnung des Flughafens 2012 das „Bild eines Kollektivs, das trotz aller kritischen Anzeichen den unbedingten Glauben an eine rechtzeitige Fertigstellung teilte, und die Möglichkeit einer Verfehlung des Inbetriebnahmetermins konsequent ausgeblendet hatte“. Die Flughafengesellschaft habe die Probleme durch Planänderungen und unklare Auftragsvergaben verstärkt.
Eindeutig Schuldige für die geplatzten Eröffnungstermine und die steigenden Kosten werden nicht genannt. „Seriöserweise kann jedoch in einem derart komplexen Projekt nur von einer Verflechtung geteilter Verantwortlichkeiten gesprochen werden“, heißt es in dem Beschluss.
Während in den Ausschusssitzungen die Regierungsfraktionen von SPD und CDU vor allem die früheren Geschäftsführer Rainer Schwarz und Manfred Körtgen ins Visier nahmen, zielte die Opposition auf den Aufsichtsrat um den früheren Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und den damaligen Brandenburger Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD).
Die Tatsache, dass das Großprojekt von vielen verschiedenen Beteiligten gesteuert wurde, hätten Bauüberwachung, Generalplanung, Mitarbeiter und Geschäftsführung der Flughafengesellschaft sowie Aufsichtsratsmitglieder dazu genutzt, sich selbst im Ausschuss schadlos zu halten und auf die anderen Projektbeteiligten zu verweisen. „Dies ist teils auf mangelnde Loyalität und mangelndes Verantwortungsbewusstsein zurückzuführen, teils auf den verständlichen Drang, sich als Zeuge im Untersuchungsverfahren vor vermeintlich ungerechtfertigten Vorwürfen zu verteidigen.“
Eine wichtige Frage konnte der Ausschuss nicht abschließend beantworten – nämlich wann Wowereit im Frühjahr 2012 erfuhr, wie stark der Eröffnungstermin im Juni gefährdet war. Im März 2012 hatte der Flughafen von der Unternehmensberatung McKinsey ein Schreiben erhalten, das den Eröffnungstermin als stark gefährdet darstellte. Schwarz sagte aus, mit Wowereit darüber am 30. März gesprochen zu haben. Der Regierungschef erklärte hingegen, erst nach der Absage des Eröffnungstermins am 8. Mai aus der Zeitung davon erfahren zu haben.