18.04.2017 Kingston ist nicht so berühmt wie Toronto oder Ottawa. Dabei war es mal Hauptstadt des kolonialen Kanadas. Fast wurde dort sogar das Parlament gebaut. Noch heute ist das Städtchen stolz auf seine Geschichte – und preist die auch lautstark an. Kingston (dpa/tmn) – Auf dem Marktplatz von Kingston steht ein Mann mit rotem Festumhang […]

18.04.2017

Kingston ist nicht so berühmt wie Toronto oder Ottawa. Dabei war es mal Hauptstadt des kolonialen Kanadas. Fast wurde dort sogar das Parlament gebaut. Noch heute ist das Städtchen stolz auf seine Geschichte – und preist die auch lautstark an.

Kingston (dpa/tmn) – Auf dem Marktplatz von Kingston steht ein Mann mit rotem Festumhang und schwingt seine Handglocke aus Messing. «God save Kingston, God save the Queen», ruft Chris Whyman, und viele Besucher schauen neugierig herüber: Wer ist bloß der Mann mit dem markanten Dreispitz auf dem Kopf, der ein wenig aussieht wie aus längst vergangenen Zeiten?

Whyman ist der offizielle Stadtschreier von Kingston, einer der ältesten Städte Kanadas. Als solcher preist er heute im Auftrag des Fremdenverkehrsamtes die wichtigsten Sehenswürdigkeiten seiner Heimat an. In Gedichtform rezitiert er Verse über die historischen Kalkstein-Gebäude, die schnuckeligen Gassen, die Gaslaternen, den alten Hafen oder die militärischen Befestigungsanlagen der Stadt.

Geschichte wird in Kingston groß geschrieben: Die Stadt an der Mündung von Ontario-See und Sankt-Lorenz-Strom gilt als historisches Zentrum der britischen Loyalisten in Nordamerika und neben Québec City als wichtigstes Beispiel für das koloniale Kanada. «Wir haben so viel Historie, man weiß gar nicht, wo man anfangen soll», erzählt Whyman, während er mit seinen barocken Schuhen über das Kopfsteinpflaster schreitet.

Dann zählt Whyman einige Meilensteine auf: In Kingston wurde nicht nur der erste Bauernmarkt Kanadas abgehalten, das erste große Gefängnis des Landes gebaut, die erste anglikanische Kirche eröffnet, die erste Zeitung gedruckt und eine der ältesten Universitäten gegründet. Von 1841 bis 1844 war Kingston auch die erste Hauptstadt der vereinigten Kolonien von Kanada – dem Vorgängergebilde des heutigen Kanada. Später verlieh Victoria, Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland, die Ehre aus geografischen und militärischen Gründen an Ottawa. Dort wurde 1867 die Nation in ihrer heutigen Form formal gegründet.

Passend zum 150. Geburtstag Kanadas in diesem Jahr können sich Besucher in Kingston auf einer einstündigen Tour im Trolley-Bus einen Überblick über die Kolonialgeschichte Kanadas verschaffen. Die Tour führt auch zum Stadtpark. «Hier sollte einmal das kanadische Parlament gebaut werden, bis dahin tagten die Abgeordneten im Krankenhaus von Kingston», berichtet Whyman und zeigt auf eine Grünfläche mit einer Bronzestatue.

Auf dem Denkmal thront der berühmteste Sohn der Stadt: Sir John A. Macdonald. In Kanada kennt ihn jedes Schulkind, auch weil sein Portrait auf dem Zehn-Dollar-Schein prangt. Macdonald war einst der erste Premierminister des Landes, das er 19 Jahre lang regierte. Als solcher hatte er die zerstrittenen anglo- und frankokanadischen Landesteile geeint. Seitdem gilt er als einer der Gründungsväter der Nation, als eine Art Otto von Bismarck oder George Washington von Kanada.

In der Centre Street lebte Macdonald eine Zeit lang. Im Bellevue House, einer im italienischen Stil gebauten Villa, arbeitete er an seinen Karrieren als Anwalt und Stadtverordneter von Kingston, bevor er zum Politiker wurde. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz und wird von der kanadischen Nationalparkbehörde als Freilichtmuseum betrieben.

Michelle Bouchier arbeitet dort als kostümierte Magd und zeigt Touristen auf einstündigen Touren die Familienräume. Dazu gibt es auch ein paar Anekdoten, die nicht immer zur Geschichtsschreibung passen. Dazu gehört Macdonalds Faible für die Spelunken der Stadt. Manche der Kneipen gehörten ihm sogar selbst. In der «Royal Tavern» in der Princess Street hängen noch heute die alten Grundbuchauszüge aus jener Zeit. Im «Sir John’s Public House», einem Pub in der King Street, befand sich einst sein Anwaltsbüro.

Das Highlight von Kingston ist allerdings Fort Henry. Errichtet wurde die Bastion aus Stein zwei Jahrzehnte nach dem britisch-amerikanischen Krieg von 1812 als Festung gegen eine mögliche Invasion aus den USA – zu der es allerdings nie kam. Bei gutem Wetter kann man die Nachbarn im US-Bundesstaat New York von hier mit dem Fernglas auf der anderen Seite des Sankt-Lorenz-Stroms erspähen.

Heute gehören das Fort und das Gelände drumherum zum Weltkulturerbe. Mit eingeschlossen ist auch der Rideau-Kanal, der Kingston mit Ottawa verbindet und heute als beliebtes Revier für Bootstouristen gilt. Im Fort selbst waren einst bis zu 400 Soldaten stationiert, heute haben Studenten der nahen Militärakademie von Kingston hier das Kommando.

«Stillgestanden, neue Gäste sind im Anmarsch», ruft Fähnrich Kateen Massey-Allard, als die Besucher das Fort betreten. Am Fahnenmast drinnen weht wie einst der britische Union-Jack, Kadetten in scharlachroten Uniformen und schwarzen Hosen proben gerade den Drill, und Soldaten bereiten 24-Pfünder für die täglich Mittags-Kanone vor.

Punkt 12.00 Uhr ist es soweit: Ein Offizier ruft ein paar schnittige Kommandos, und ein Soldat stopft mit einer langen Latte Schießpulver in eine Kanone, die auf einer der mächtigen Wehrmauern des Forts steht. Dann auf einmal gibt es einen riesigen Knall. Die Mauern beben, die Holztüren wackeln, der Rauch steht hoch über dem Horizont. Spätestens hier und jetzt fühlt man sich zurückversetzt in die Anfangsjahre Kanadas.

Jörg Michel, dpa

 

Infokasten: Kingston

Anreise: Lufthansa, Air Canada und Condor fliegen direkt nach Toronto. Von dort sind es etwa zweieinhalb Stunden Autofahrt bis Kingston. Die Bahngesellschaft Via Rail fährt mehrmals täglich von der Union Station in Toronto nach Kingston.

Reisezeit: Kingston lässt sich das ganze Jahr über erkunden, im Winter gelten allerdings eingeschränkte Öffnungszeiten. Viele Touristen besuchen die Stadt daher zwischen Mai und September, wenn alle Sehenswürdigkeiten länger geöffnet haben.

Sehenswürdigkeiten: Öffentliche Führungen in Fort Henry gibt es vom 20. Mai bis 3. September. Stadttouren im Trolley-Bus kosten 27,50 kanadische Dollar am Tag. Zwischen Mai und September fahren die Trolleys alle 30 bis 45 Minuten, an Winterwochenenden einmal am Tag. Das Bellevue House hat im Juli und August täglich zwischen 10.00 Uhr und 17.00 Uhr geöffnet. Im Juni und September ist dienstags und mittwochs geschlossen.

Einreise: Bürger aus den EU-Staaten benötigen zur Einreise nach Kanada die neue elektronische Einreisegenehmigung eTA. Sie muss vor der Reise im Reisebüro oder online beantragt werden: http://www.cic.gc.ca/english/visit/eta-start-de.asp

Geld: Ein Euro sind 1,4 kanadische Dollar (Stand: April 2017).

Infos: Reisende können Informationen zum Ontario-Urlaub unter Telefon 01805 62 62 32 bestellen (0,14 Euro pro Minute, aus Mobilfunknetzen maximal 0,42 Euro pro Minute) oder per E-Mail: info@infokanada.de. Das Visitor Centre in Kingston ist im alten Bahnhofsgebäude gegenüber des Rathauses untergebracht, Öffnungszeiten im Sommer zwischen 9.30 Uhr und 20.00 Uhr. Adresse: 209 Ontario St, Kingston, ON K7L 2Z1, Kanada.