20.07.2017 Öffnen per Fingerabdruck, GPS-Tracking, mobile Powerbank: Seit der Koffer das Rollen gelernt hat, gab es beim Reisegepäck kaum Innovationen. Dafür können neuartige Trolleys nun umso mehr – sogar selbst fahren oder sich wiegen. Berlin (dpa/tmn) – Müssen wir uns bald daran gewöhnen, dass Flugpassagiere sich auf ihr motorisiertes Handgepäck setzen und vom Schalter zum […]

20.07.2017

Öffnen per Fingerabdruck, GPS-Tracking, mobile Powerbank: Seit der Koffer das Rollen gelernt hat, gab es beim Reisegepäck kaum Innovationen. Dafür können neuartige Trolleys nun umso mehr – sogar selbst fahren oder sich wiegen.

Berlin (dpa/tmn) – Müssen wir uns bald daran gewöhnen, dass Flugpassagiere sich auf ihr motorisiertes Handgepäck setzen und vom Schalter zum Gate brausen? Als der vielreisende Unternehmer Kevin O’Donnell aus Chicago seine Kinder mal wieder auf dem Rollkoffer hinter sich her zog, kam ihm die Idee: «Warum eigentlich können wir auf unserem Gepäck nicht selber fahren?» Er setzte sie um.

Gemeinsam mit einem Bekannten konstruierte O’Donnell die bis zu 13 km/h schnelle Modobag – mit Fußrasten, Teleskoplenkstange und Bremshebel. Über die Crowdfunding-Plattform Indiegogo kann der Trolley vorbestellt werden. Mit der ganzen Technik an Bord bleiben immerhin noch 85 Prozent des ursprünglichen Volumens für die eigenen sieben Sachen.

Die Möglichkeit, über das Internet Geld für seine Ideen einzusammeln, hat Bewegung in die Gepäckbranche gebracht, in der große Weiterentwicklungen lange Zeit Mangelware waren. «Innovationen sind sehr überschaubar, seit es Koffer gibt», sagt Prof. Ulrich Reinhardt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen. Die wortwörtlich umwälzendste Idee der vergangenen Jahrzehnte waren seiner Ansicht nach die Rollen unterm Koffer, die das Schleppen des Gepäcks weitgehend überflüssig machen.

Doch jetzt erobert Smart Luggage die Lounges und Terminals – Gepäckstücke mit erweitertem Funktionsumfang dank Digitaltechnik. Das Spektrum an Fähigkeiten ist breit und reicht von der Lademöglichkeit fürs Handy über GPS-Tracking bei Verlust bis zum Entfernungsalarm, den zum Beispiel das Berliner Start-up Horizn Studios für seinen Cabin Trolley als Extra anbietet.

Kunden können eine scheckkartengroße Guard Card erwerben, die mit dem Smartphone über Bluetooth in Verbindung steht. Es schlägt Alarm, wenn die Karte im Koffer steckt und dieser sich mehr als 30 Meter vom Träger des Handys entfernt – etwa wenn ein Diebstahl im Gange ist. «Unser Anliegen ist es, Reisen komfortabler und sorgenfreier zu gestalten», sagt Horizn-Studios-Gründer Stefan Holwe.

Auch andere denken so und gehen in dem Versuch, ihren Produkten möglichst viel digitale Intelligenz einzuhauchen, noch weiter – etwa das US-Unternehmen BlueSmart aus San Francisco. Ab einem gewissen Abstand zum Besitzer schließt sich der BlueSmart Trolley von selbst. Im Griff ist eine Zugwaage eingebaut. Wer den Koffer hochhebt, bekommt das Gewicht auf dem Handy angezeigt.

Die Powerbank zum Laden elektronischer Geräte an USB-Ports kann anders als beim Konkurrenzprodukt von Horizn Studios allerdings nicht entnommen werden. Will man seinen Trolley als Aufgabegepäck abgeben, geht das dann laut den Sicherheitsbestimmungen vieler Airlines nicht.

Vor allem US-Firmen überschlagen sich bei Gepäckinnovationen im Bereich Internet der Dinge. Der vernetzte Koffer der Marke Planet Traveler aus Miami namens Space Case 1 lässt sich per Fingerabdruck biometrisch öffnen und schließen und hat zudem einen Bluetooth-Lautsprecher für Musikwiedergabe oder Telefonate eingebaut. Über eine App meldet sich ein Concierge-Service etwa bei Gate-Änderungen.

Auch die einschlägigen Hersteller sind dran am Thema Digitalisierung. Der Clou des Reisekoffers Geotrakr von Samsonite ist eine Ortungsfunktion, die laut Hersteller an einen Geschwindigkeitsmesser gekoppelt ist. Während des Flugs schaltet sich die Elektronik im Koffer aus, um nicht mit der Bordelektronik ins Gehege zu kommen – und wieder an, wenn die Maschine steht. Während der Geotrakr dem US-Markt vorbehalten ist, soll es für europäische Kunden ein Koffer richten, der mit Ortungsfunktion und Entfernungsalarm per Bluetooth ausgestattet ist.

Und Delsey, nach Samsonite die weltweite zweitgrößte Gepäckmarke, plant für Herbst 2017 den Marktstart von Pluggage. Auch dieser Reisekoffer hat viele vergleichbare Funktionen integriert. Öffnet man ihn, geht eine Innenraumbeleuchtung an, und sobald er auf dem Gepäckband unterwegs ist, meldet sich die Delsey-App.

Und wer braucht das alles? Geschmacksache. Es gibt neben der Einschränkung bei den Batterien eine weitere praktische Hürde. Denn mancher smarte Trolley bringt trotz Leichtbauweise selbst bereits leer vier Kilo auf die Waage. Liegt die Gewichtsbeschränkung für das Handgepäck wie bei einigen Airline schon bei um die acht Kilo, bleibt nicht mehr viel für den Rest.

Wissenschaftler Reinhardt geht davon aus, dass viele Menschen sich wegen des Bling-Bling-Faktors intelligentes Gepäck zwar kaufen, die Funktionen aber kaum nutzen werden. «Man probiert vielleicht dreimal aus, wo sich der Koffer genau befindet.» Danach werde der Reiz wohl nachlassen.

Der deutsche Traditionshersteller Rimowa hält sich bei der Funktionsfülle zurück und bietet bei seinem digitalisierten Gepäck derzeit lediglich den Electronic-Tag, mit dem der Koffer von zu Hause aus per Airline-App eingecheckt werden kann. Statt den Gepäckabschnitt, den der Fluggast beim Check-in am Schalter erhält, an den Koffer zu heften, erscheint er auf einem Ink-Display. Dieses benötigt keinen Strom mehr, sobald der Tag aufgespielt ist.

Jedoch können bislang nur Fluggäste von Lufthansa und Eva Air E-Tags an wenigen Flughäfen nutzen. «United, Condor und Thomas Cook sind aktuell in der Testphase», heißt es bei Rimowa. Die Vision von Rimowa sind vollautomatisierte Drop-Off-Stationen, an denen der eingecheckte Koffer zeitsparend nur noch auf ein Band gestellt, automatisch gewogen und Richtung Flieger abtransportiert wird.

In puncto Automatisierung weiter ist die chinesische Firma Cowarobot, die bereits auf mehreren Messen ihre mittels Elektromotoren selbstfahrenden Trolleys vorgestellt hat. Die Auslieferung des R1, der per Smartwatch-Verbindung seinem Besitzer folgt und dank Sensoren auch Hindernissen ausweichen können soll, ist allerdings in Verzug. Seit Monaten ist auf der Website zu lesen: «Coming soon». Bald sei es aber endlich so weit, so ein Sprecher.

Stefan Weißenborn, dpa